Statistiken und Zitate, Scorings und Stimmungen

Zur Zeit der Entstehung dieser Zeilen, in der Statistiken mit Fallzahlen, Sterberaten, Immunisierungsquoten und mehr oder weniger private Meinungen über etwas, was eigentlich nicht gewusst werden kann, die Ausformung der öffentlichen Ordnung von 80 Mio. Menschen bestimmen, wird über ein maßgebliches Thema nicht gesprochen, und das ist die Frage, ob die Adressaten der Botschaften, die beständig ausgesendet werden, überhaupt verstehen können, was diese Aussagen bedeuten und wie diese zustande gekommen sind.

Statistik und Meinungsumfragen bestimmen schon sehr lange die aktuelle Tagesdebatte. Ich erinnere dabei an die „Stimmung im Lande“, die ein öffentlicher Fernsehsender regelmäßig aussendet und der mit großer Sicherheit zum Beispiel das Wahlverhalten der Zuschauer deutlich zu beeinflussen vermag. Auch sollte allgemein bekannt sein, das schon seit Jahren mehr als hundert Meinungsumfragen pro Jahr von der Bundesregierung in Auftrag gegeben und für ihre Arbeit verwendet werden. Trotzdem habe ich jetzt aus vielen Gesprächen über das alles beherrschende Thema der Pandemie deutlich heraushören können, das nur sehr wenige Menschen die Aussagen einer Statistik überhaupt verstehen oder einordnen können. Es gilt leider immer noch der alte Satz: „Traue keiner Statistik, die du nicht eigenhändig gefälscht hast“. Und jetzt ist mir aus der Lektüre ein weiterer Satz zur Kenntnis gelangt, der in der laufenden Diskussion und Verwirrung sehr große Bedeutung zu haben scheint: „Traue keinem Zitat, das du nicht höchst persönlich aus dem Zusammenhang gerissen hast.“

Gerade in Pandemie-Zeiten, wo Versammlungen und Öffentlichkeit massiv eingeschränkt sind, stellen die Zahlenwerte von Statistiken und Zitate von qualifizierten Fachleuten die einzige Informationsquelle dar, aus der ein isolierter Mitbürger seine Meinung beziehen kann. Und die gerade sich in aller Deutlichkeit abzeichnende Spaltung der Gesellschaft spiegelt dieses Dilemma in aller Deutlichkeit wieder. Beziehen wir unser Informationen aus den sogenannten Qualitätsmedien, bilden sich andere Zustimmungsquoten zu aktuellen politischen Entscheidungen heraus als bei der Verwendung von alternativen Medien, die durch die Vernetzungen des Internets nahezu allen Menschen zugänglich geworden sind. Erinnert sich noch jemand an die Zeiten vor Internet und Smartphone? Da gab es die Tageszeitung und die Tagesschau am Abend, pünktlich gegen 20:00 Uhr. Und alles weitere ging über „Ich habe gehört…“ und „Wir haben uns unterhalten…“ oder „Es wird gemunkelt…“. Wir nannten das auf der Arbeit mal „Flurfunk“. Das war es aber dann auch schon. Und wenn ein ungebräuchliches Fremdwort in den Nachrichten erschien, wurde dieses entweder sofort erklärt oder der Hörer konnte lange nicht verstehen, worüber eigentlich berichtet wurde. Heute sieht das anders aus. Das Fremdwort muss nicht mühsam im Fremdwörterbuch gesucht werden. Es wird heute bereits im Netz diskutiert, während die Nachrichtensendung noch läuft oder der Artikel gerade im Café oder Park von mir gelesen wird, und häufig ploppt das Gesagte bereits vor meinem Aktiv-Werden-Können in den sozialen Netzwerken als Info auf. Das geht oft schneller, als man das selbst in Google eingeben könnte.

Informationen verbreiten sich heute mir derart hohen Geschwindigkeiten, das jeder auch ohne zu lesen oder fernzusehen jederzeit weiß, was los ist auf der Welt. Es genügt ein stets offenen Ohr und Augen, die sehen, um heute nahezu ausreichend informiert zu sein. Zumindest glaubt das scheinbar ein großer Teil der Menschen, wie aus den Wortfetzen und Kurzinterviews herauszuhören ist, die stets zur besten Sendezeit durchs TV flitzen oder die im „Gesichtsbuch“ oder im „Zwitschern“ zu lesen und damit auf dem „Clever Telefon“ stets präsent sind. Es scheint nicht mehr viele Menschen zu geben, die sich die Zeit und die Muße nehmen können, sich umfassend informieren und das Gehörte und Gelesene hinterfragen zu können. Und da verwundert es auch nicht, das die wildesten Spekulationen und Erklärungen nahezu unhinterfragt übernommen und in den Alltag gebracht werden. Ich habe bisher wenige Menschen gesprochen, die zum Beispiel beim Wort „Virus“ genau erklären konnten, um was für ein Wesen es sich dabei handelt, wie oft es auf der Welt auftritt und was es mit ihm eigentlich auf sich hat. Trotzdem sprechen alle von ihm, haben sich über ihn eine Meinung gebildet und scheinen sehr sicher dabei zu sein, das Richtige zu tun. Und es scheint mehr und mehr zu einer Gewohnheit zu werden, das einerseits „die da oben“ es schon wissen werden und andererseits „die da oben“ sowieso etwas ganz anderes im Sinn haben. Und verändern können wir auch gar nichts mehr daran. Und dazwischen ist inhaltliche Leere.

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