Die Verrechtlichung der Lebensgefüge
Wir erreichen heute wieder einen Zustand der Zivilisation, in dem das gesamte Lebensgefüge eines Menschen, eines Volkes oder von Gemeinschaften beider in Gesetzesgefüge eingegossen sind, die weder überschaubar noch veränderbar erscheinen. Die Herkunft eines Menschen, das heißt dem Status der Familie, der man entstammt, entscheidet in weiten Teilen einschließlich der westlichen Welt über das künftige Lebensgefüge junger Menschen. Da mittlerweile überall gleichermaßen gilt, das Leistungsfähigkeit über den Wohlstand eines Lebens entscheidet, ist in zunehmenden Maße die Lage des Ausgangspunkts der Leistungserbringung von entscheidender Bedeutung. Bildung, Ausbildung und Förderung entscheiden über den Lebensweg junger Menschen. Alle genannten Faktoren sind abhängig von der materiellen Ausstattung der Familie und des Staates, denen man angehört. Reiche Eltern, reiche Familien und Staaten bringen viel leichter einen erfolgreichen Nachwuchs zustande als die arme Gegenseite. Das diese Tatsache, die weltweit beobachtet werden kann, Bestand hat, dafür sorgen Gesetze, Verordnungen und Kulturgüter, Motive also, die Leistungsfähigkeit definieren und die weltweit sehr unterschiedlich ausgeformt sind. Was in China, Japan und Korea leistungsfähig genannt wird, hat mit europäisch-amerikanischen Normen sicher wenig gemein. Aber auch innerhalb der Blöcke, zum Beispiel Europa und USA, gibt es wesentlich Unterschiede in Definitionen. Betrachten wir ein kleines, aber prägnantes Beispiel: Die Verleumdung.
Exkurs: Die lateinischen Länder nennen es Verleumdung, wenn man abfällige Elemente meldet, ohne sie beweisen zu können, obwohl es selbstverständlich ist, dass bestimmte Tatsachen nicht nachgewiesen werden können (wie z. B. amnestierte Taten, verjährte Verbrechen oder einfach Elemente des Privatlebens) und daher nicht publizierbar sind. Im Gegenteil dazu nennen die angelsächsischen Länder nur solche Beschuldigungen, deren Falschheit nachgewiesen werden kann, Verleumdungen. In der Praxis verlangen die lateinischen Gesetze, dass der Autor nachweist, was er vorgibt, während die angelsächsischen Gesetze im Gegenteil festsetzen, dass es an der verleumdeten Person ist, zu beweisen, dass der Autor Unsinn erzählt. (Quelle: Voltaire Netzwerk – https://www.voltairenet.org/article211884.html)
Wir leben heute in Europa zum Beispiel in einer Weltregion, in der ein lateinisches Recht niedergeschrieben und vertreten wird, wo allerdings in den Köpfen vieler, zu nennen sind da besonders die Eliten (Politik, Medien, Wirtschaft) und das Prekariat (Bildungsferne Gruppen), sich mehr und mehr angelsächsische Rechts- und Beweisvorstellungen breitmachen. Die Erstgenannten sorgen sich dabei um ihre Profite und Bündnisse, die Letztgenannten um ihre einfach gestrickten Vorstellungen von Gerechtigkeit. Beiden Extremen fehlen die ausgleichenden und relativierenden Anteile, ohne die Gesellschaftstheorien nicht denkbar erscheinen.
Wir leben heute in einer globalisierten Welt. Gesetze, die in Europa oder den USA entstanden sind und für gute Regelungen sorgen, sind oftmals aber wenig geeignet, in anderen Teilen der Welt für den gleichen Zustand zu sorgen. Trotzdem werden nach westlichen Standard heute überall in der Welt Verträge geschlossen. Das sind meist Verträge über das Recht, die den Handel, die Wirtschaft und den Austausch von Informationen betreffen. So fördern zum Beispiel Handelsverträge zwischen Europa und Afrika den gemeinsamen Austausch von Waren und Dienstleistungen, aber aufgrund der wirtschaftlichen Stärke Europas und der Schwäche afrikanischer Länder, aufgrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Einrichtungen und Wertungen der Kulturen, profitieren sowohl in Afrika und etwas weniger auch in Europa nur die reichsten und mächtigsten Teile der Gesellschaft von solchen Vereinbarungen, während weite Teile der armen Bevölkerungen unter den Vereinbarungen eher leiden. Billigimporte aus Europa zum Beispiel, meist in armen Ländern hergestellt und von europäischen Firmen in den Welthandel gedrückt, ersticken sowohl die Selbsternährungsfähigkeit als auch die aufstrebende Entwicklung der ärmeren Länder. Bei Streitfällen entscheiden dann laut Vertrag Schiedsgerichte, die von reichen Staaten eingesetzt und beherrscht werden. Wir finden die ähnliche Zustände in den Weltorganisationen aller Arten, von der UN über die WHO bis zum internationalen Gerichtshof.
Wie um alles in der Welt ist Gleichheit und Freiheit im Zuge der Globalisierung denn definiert, wenn die Reichsten und Mächtigsten Staaten entweder über blockierende Vetorechte verfügen oder gar durch Abwesenheit weil Nicht-Beitritt zu regulierenden Verträgen glänzen. China, Russland und USA, etwas weniger, weil wirtschaftlich zu schwach, auch GB und Frankreich, können sich weltweit nahezu alles erlauben. Kein anderer Staat kann sie heute in die Schranken verweisen. Daher ist auch nicht verwunderlich, das auch Deutschland anklopfend vor der Türe des UN-Sicherheitsrates steht und um einen Stammsitz in diesem Gremium buhlt.