Inmitten der Anforderungen an einen neuen Umgang mit der Verschmutzung von Umwelt und Atmosphäre und dem damit verbundenen allgemein anerkannten Klimawandel, inmitten der Aufgaben nahezu der gesamten Weltbevölkerung mit der Bewältigung einer Virus-Pandemie, inmitten der vielfältigen Versäumnisse beim Erhalt der Infrastruktur wie Straßen, Schulen, Brücken, einem unzureichenden öffentlichen Nahverkehr, einer Energiekrise sowohl in langfristiger wie aktueller Ausprägung und vieler anderer Missstände in Regierung, Verwaltung und Kommunikation erleben wir zu Zeit einen beängstigenden Verfall der Debattenkultur, auf der demokratische Organisationsformen nun einmal angewiesen sind.
Debatten sind für eine demokratische Gesellschaft genau so wichtig wie gute Wanderschuhe für den Wanderer. Mit weichen Sohlen und wenig Halt in den Wanderschuhen sind Wanderungen über Stock und Stein äußerst unsinnig. Ohne die öffentliche Debatte kann der Bürger seine Pflicht, die Macht zu begrenzen und vor Machtmissbrauch zu schützen, nicht wahrnehmen. Er übt diese Pflicht nicht nur aus durch seine Kreuze auf den Wahlzetteln, sondern auch durch sein Verhalten ganz allgemein in vielen Ausprägungen innerhalb seines persönlichen Wirkungskreises, das sind Äußerungen im öffentlichen und privatem Gespräch sowie durch sein Kaufverhalten, seine Arbeitsleistung oder seine Beiträge im kulturellen Bereich. Um das leisten zu können, braucht er umfassenden Informationen zu allen Themen und Bereichen seines Interesses. Meine Frage, die ich in diesem Artikel stellen muss ist die, ob er dazu überhaupt in der Lage ist oder sein kann und ob die Medien, die ihm diese Dienstleistungen anbieten sollten, dazu bereit oder in der Lage sind. Ich ganz persönlich würde beide Fragestellungen mit einem sehr klaren „NEIN“ beantworten. Im unendlichen Dschungel der weltweiten Nachrichten trifft jede Redaktion automatisch, und vielleicht sogar unbewusst, eine Auswahl, die ihr Interesse und ihren Anforderungen, ganz gleich wie immer die auch begründet sein mögen, entsprechen.
Nun könnte man allein die neuen „Sozialen Medien“ 1 dafür verantwortlich machen, man könnte auch die ernüchternde Abwesenheit von Aufrichtigkeit in Politik und Wirtschaft verantwortlich sehen, man könnte auch die Systematik unserer Gesellschaftsordnung in Zweifel ziehen und als Grund für alle Verwerfungen sehen, aber eines wird in der allgemeinen Betrachtungsweise vollkommen vergessen: Verantwortlich sind auch die vielen Menschen, die sich einerseits mit diesen Missständen zufrieden geben und/oder andererseits Angst haben davor, das mit Reformen 2 alles noch viel schlimmer kommen könne und „ICH“ meine hochverdienten und natürlich nur selbst erarbeiteten Bequemlichkeiten verlieren könne.
Nun ist mein Thema nicht die Frage, inwieweit diese Angst berechtigt sein könne 3 und wie man das alles viel besser machen könne. Nein, darüber hätte ich sicher auch das eine oder andere zu schreiben, aber dazu werde ich mich später vielleicht noch äußern. Mein Thema hier ist die Debattenkultur, auf der sich unsere gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die mit Sicherheit absolut notwendig und sinnvoll sind, stattfinden. Mit Debatte sind nicht nur Diskussionen und mündlich ausgetragene Auseinandersetzungen wie in Parlamenten und Diskussionssendungen gemeint, sondern auch Schriftstücke, die den Stand und die Hintergründe einer aktuell laufenden Debatte beschreiben oder darüber berichten. Und bevor ich in die Feinheiten des Themas einsteige, möchte ich noch einmal kurz und in Stichworten die Akteure dieser Kultur, wie ich sie heute sehe, beschreiben.
- Da sind zunächst einmal die sogenannten „Qualitätsmedien“, die selbst nach wissenschaftlichem Verständnis, und davon zeugen einige interessante Studien, mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit als gleichgeschaltet angesehen werden müssen. Das liegt zum einen an den Besitzverhältnissen dieser Firmen, das liegt daran, das nahezu alle mit den gleichen Nachrichtenagenturen 4 arbeiten, das liegt an den Einnahmequellen, die die Arbeit dieser Firmen ermöglichen und natürlich die Auswahl der führenden Schreiber und Journalisten in den Redaktionen, die die Ausrichtung der veröffentlichten Beiträge bestimmen 5
- Dann gibt es natürlich die „sozialen Medien“, in deren Netzwerk sich alles von jedem „posten“ lässt, egal ob das Behauptete wahr, falsch, wahrscheinlich, unwahrscheinlich, moralisch, unmoralisch, üble Nachrede oder schon Beleidigung ist oder was sonst noch an Rechtfertigung und Begründung gedacht werden kann, da in diesen Formaten weder Begründung noch Rechtfertigung gefordert werden und diese Konzerne sich ebenfalls, wie neuere Aktionen beweisen, durchaus nicht davon abhalten lassen, ihnen unliebsame Beiträge ohne Begründung nach hinten zu schieben 6 oder sogar zu löschen. Und die betroffenen Beiträge sind nicht, wie man gerne vermuten könnte, nur Aufrufe zu Gewalt, Beleidigungen und dergleichen. Nein, im Gegenteil, die letztgenannten werden gerne behalten, da sie eine hohe Aufrufquote garantieren und somit mehr Daten in die firmeneigenen Server spülen. Betroffen sind meist Ansichten und Meinungen, die sich nicht mit der Ansicht der Mehrheit im Lande decken, die verschwinden oder sogar gelöscht werden. Und wer dann noch den Trend, politische Statement auf max. 280 Buchstaben zu begrenzen, gut findet, weil man dann schneller durch ist mit der Informationspflicht, dem muss ich leider sagen, das sich in dieser Enge in Sachen Politik nichts, aber auch absolut nichts Sinnvolles ausdrücken lässt, zumal die allgemeine Bildung des Großteils der Bevölkerung sprich die Fähigkeit zu recherchieren, so Daten und Fakten aufzunehmen und in einen Kontext zu setzen mehr und mehr in Richtung Null absinkt. Von gestellten Fotos, Tanzeinlagen und anderem Aktivitäten im Netz möchte ich schweigen, weil das mit Debatte nichts und mit Kultur nur wenig zu tun hat.
- Und dann sind da noch die öffentlich rechtliche Radio- und Fernsehsender, deren Räte nach Parteien- und Funktionen-Proporz bestimmt werden, die ihre Quellen und Aufgaben wie die Qualitätsmedien auch aus dem aktuell vorherrschenden Meinungsgefüge (Mainstream) beziehen und wenig davon halten, ihre Hörer und Zuschauer umfassend, sprich über die Ansichten und Gegenansichten aller Meinungsträger innerhalb der gesellschaftlichen Debatte, zu unterrichten. Wer sich umfassend und in allen zur Verfügung stehenden Quellen informiert, wird sogar feststellen, das im Öffentlich-Rechtlichen viele Themen entweder gar nicht vorkommen, manche der aufgegriffene Themen nur stark verkürzt sind und/oder häufig so als Sondersendungen geschaltet werden, das deren Themenauswahl zwar aktuell, aber deren Informationsgehalte sprichwörtlich gleich null sind. In den wenigen Satiresendungen selbst der Öffentlich-Rechtlichen erfährt man oftmals mehr Substanzielles (Hintergrundwissen) als in offiziellen Nachrichten und Informationssendungen.
- Und dann sind da natürlich noch die Bürger, die sich informieren müssen, die sich entsprechend den Gesetzen und Vorschriften verhalten müssen und die selbstverständlich davon ausgehen, das Recht und Gesetz auch gerecht und zur Zufriedenheit aller zu sein habe und politische Freiheit stets im Vordergrund zu stehen habe. Dies ist, mit Verlaub geschrieben, durchaus heute nicht einmal ansatzweise der Fall und das war auch in der Geschichte unserer Kultur noch niemals gegeben. Viele einfachen Leute haben allein schon große Probleme damit, ihren Alltag mit all den Anforderungen zu meistern und können gar nicht die Zeit aufbringen, die es es bedarf, sich umfassend aus vielen Quellen zu informieren. Erschwerend kommt hinzu, das heute in nahezu allen Quellen nicht mehr unterschieden wird zwischen Nachricht, Werbung, Meinung und Propaganda und jeder einzelne sich sozusagen aussuchen muss und wahrscheinlich auch will, welche Quellen er verwendet.
- Ich würde hier auch gerne über die Informationsaktivitäten der Regierungen, der Verwaltungen und der sozialen Institutionen etwas aussagen, aber aufgrund der praktisch nicht vorhandenen Breitenwirkung der meist wenig aktuellen und noch weniger bedienungsfreundlichen Ausstattung dieser Medien 7 fällt mir dazu nur wenig ein. Wer kennt schon den Newsletter „Die Bundesregierung informiert“ oder möchte sich auf den praktisch tief im Netz versteckten Landesregierungsseiten herumdrücken? Das Informationsangebot der offiziellen Exekutive ist mehr als dürftig.
- Allein der Name „Soziale Medien“ treibt einem die Zornesröte in Gesicht, denn wenn diese Medien alles sein mögen, aber sozial sind sie bestimmt nicht, denn sie vereinnahmen die preisgegebenen Daten ihrer Nutzer für ihren Profit in Form von Werbeeinnahmen… ↩
- …wir hatten das ja schon einmal… Wir erinnern uns… Schröder und Fischer… ↩
- …es spricht ja einiges dafür… ↩
- Die größten sind: DPA, AP, AFP, Reuters. Und das waren auch schon alle mit Breitenwirkung… ↩
- Beispielhaft dafür ist der Spiegel, der seit dem Sponsoring durch die Gates-Stiftung keine Gelegenheit verstreichen lässt, gegen Russland zu stänkern, und dabei scheint es dort vollkommen gleichgültig zu sein, ob die Anschuldigungen sich beweisen lassen oder nicht. Und auch die Dichte, mit der in der Epoche-Times gegen China gestänkert wird, scheint mir aus ähnlichen Gründen äußerst verdächtig zu sein. ↩
- …sprich „in der Nicht-Aktualität“ verschwinden zu lassen… ↩
- Medien? Eigentlich sind das nur dürftige Angebote der staatlichen Stellen, geeignet für Eingeweihte und Recherchespezialisten… ↩