Ich fasse das Genannte einmal in Kurzform zusammen:
- Wir haben heute eine ganz neue Form von Medien, die in der Lage sind, Resonanzen in großer Breite zu erzeugen. Die dabei verwendeten Algorithmen sind undurchsichtig und wirken für einer breiten Schicht der Menschen unverständlich und bedrohend.
- Durch die Digitalisierung und die Verarbeitungsmöglichkeiten großer Datenmengen sind neue Formen von Status-Quo-Erhebung möglich geworden, die auf der einen Seite andere Entscheidungsfindungs-Prozesse möglich machen und andererseits auch frühzeitig auf Meinungsbeeinflussung gerichtete Möglichkeiten erschließen. Stimmungsbilder sind die Folge, die sich nicht immer auf rationalen Grundlagen bewegen.
- Parlamentarische Demokratien wie Deutschland sie verwendet, gestalten langsame und träge Verwaltungen und Regierungen, die nicht zu schnellen Reaktionen in der Lage sind. Das Bild wird verschärft durch eine unselige Effizienz-Vorstellung, die auf Krisen aus Kapazitätsgründen schon nicht mehr zu reagieren in der Lage sind.
- Auch Schulen, Universitäten und Bildungsinstitute sind auf Effizienz ausgerichtet, bilden gute, hochspezialisierte Arbeitnehmer aus, aber keine Menschen mehr mit umfassender Allgemeinbildung, die zu einem Wissensüberblick in der Lage wären und die in Politik, Wirtschaft und Verwaltung dringend gebraucht würden.
- Bisher mächtige Organisationen wie Kirchen, Parteien und Gewerkschaften verlieren an Einfluss und sind nicht mehr in der Lage, ihren Mitgliedern Schutz und Orientierung zu geben.
- Wir verzeichnen einen immer größer werdenden Einfluss von national-konservativen und religiös-fundamentalistischen Vorstellungen in der ganzen Welt, was sich in Patriotismus, Exzeptionalismus und Ausgrenzungen in den verschiedensten Formen darstellt.
- Dazu kommen die Ängste, die selbst etablierte Bevölkerungsschichten mehr und mehr durch Abstiegsmöglichkeiten bedrohen, weil Einkommen und Sicherheit weder in der Arbeitswelt noch in der Gesundheitsvorsorge mehr als gegeben gelten können. Die Schere der Vermögensverteilung, die sich immer weiter öffnet und immer größere Teile einer Bevölkerung verarmen lassen, trägt dazu noch zusätzlich bei.
Das ist der Hintergrund unserer aktuellen Gesellschaftsorganisation, auf den bezogen alle Krisen der letzten Jahre gesehen werden müssen. Die erste Krise, in der die neuen Grundlagen unserer Gesellschaft extrem wirken konnte war die Finanz- und Bankenkrise im Jahr 2010. Ohne die über-schnellen Resonanzen und Informationsflüsse durch die neuen digitalen Technologien wäre eine Rettung der Finanzsysteme, über die das kapitalistischen System nun mal aufgebaut ist, so gar nicht notwendig geworden. Eine einzige Bank und deren Zahlungsunfähigkeit deckte innerhalb von Stunden eine riesiges Gefährdungspotential auf, das die gesamte Finanzwelt zum Einsturz zu bringen drohte, da alle Betroffenen, durch sensationssüchtige Medien aufgeschreckt, noch schnell ihre Schäfchen in Sicherheit zu bringen gedachte. Zur Vermeidung dieser Gefahr sahen die Verantwortlichen der Welt, mit Sicherheit keine Spezialisten in Finanzfragen im weltweiten Feld, keine andere Möglichkeit, als mit riesigen Kapitalmitteln die Verursacher der Krise fett zu füttern, damit diese zu Stabilität zurückfinden. Verstärkt wurde dieses grobschlächtige Mittel durch die Tendenz der Staaten, sich wiederum nur an den eigenen Interessen zu orientieren, was letztlich nur wieder zu unfunktionalen Kompromissen geführt hat, die meist die Schwächsten am stärksten trafen. Denken wir nur an Griechenland und den Ausverkauf seiner Besitztümer. Wir alle kennen heute die Auswirkungen, die dieser Kraftakt, ob nun sinnvoll und notwendig gewesen oder nicht, gekostet hat. In meinen Augen sind Halbwissen, mangelhafter Überblick der Entscheidungsträger über die Lage, der Interessenkonflikt der ratgebenden Spezialisten und die national-egoistischen Vorstellungen die Ursache für die vielen Fehlentscheidungen und die folgenschweren Kollateralschäden, die diese Krise weltweit gelegt hat. Sie ist bis zum heutigen Tag nicht ausgestanden und ich habe nicht den Eindruck, das bis heute daraus etwas gelernt wurde.