Hybris und Nemesis, eine Buchempfehlung

Das Buch „Hybris und Nemesis“ von Rainer Mausfeld 1 halte ich nach dem ersten Durchlesen für ein Muss jedes politisch interessierten Bürgers in der westlichen Welt. Es beschreibt die bestehende Ausformung und Unzulänglichkeiten einer demokratischen Regierungsform, besonders der repräsentativen Formen westlicher Prägung, in einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft. Und ich sage ganz ohne Umschweife und Übertreibung, das ich selten ein Buch lesen durfte, das mich so frustriert und ernüchtert zurückgelassen hat, wie dieses. Nicht weil ich den Inhalt des Buches nicht glauben, nachvollziehen oder bestätigen könnte, sondern genau im Gegenteil: Vieles was das steht und beschrieben wird wird von mir seit langem schon geglaubt, kann weiterhin von mir in jedem Detail nachvollzogen werden und findet von Tag zu Tag mehr Bestätigung, als mir lieb sein kann. Es wurde aber selbst von mir wohl nie richtig ernst genommen.

Nun möchte ich hier keine Buchbesprechung anfangen. Das liegt nicht in meinem Interesse und ich wäre wohl auch nicht in der Lage, das Gelesene sachgerecht zu kommentieren. Ich denke, das dieses Buch nicht verkürzt oder interpretiert werden sollte. Wer es beurteilen möchte, sollte es komplett von vorne bis hinten gelesen und somit durchlitten haben. Meiner Ansicht nach beschreibt es in unbeugsamer Klarheit das politische und gesellschaftliche System, zu dem wir uns entschieden haben. Es verzichtet darauf, Alternativen, gute Vorschläge oder Reformvorstellung zu entwickeln, und: Es lässt den Leser nachdenklich und verwirrt zurück. Das ist gut so!

Wir befinden uns heute sowohl in Deutschland als auch bei seinen Freunden im Westen in einer Situation, in der noch nie eine Gesellschaft vorher sich vorgefunden hat. Alle bisherigen Versuche, eine Gesellschaft aufzubauen und zu stabilisieren, die gescheitert sind, waren aus der Perspektive der Weltbevölkerung nur ein Scheitern weniger und hat die Menschheit als Ganzes niemals in ernsthafte Gefahr gebracht. Das ist heute anders. Wenn heute zwei oder drei Menschen, ausgestattet mit unvorstellbarer Macht, auf den bereitstehenden Knopf drücken, der einen Atomkrieg auszulösen vermag, wird die Menschheit wahrscheinlich nicht überleben können. Das ist somit nicht mehr 5 vor 12, sondern bereits viele näher am Abgrund, als politisch dahin dösenden Menschen sich das vorstellen können. Dahin gebracht haben uns wohl Gier, Hass und Verblendung und nach Mausfeld besonders „die Gier einer parasitären Elite“, die ihre Position zu verteidigen sucht mit allen Mitteln und auch vor dem Armagedon eines Endes der Menschheit nicht zurück zu schrecken scheint. Aber was schreibe ich hier: Lesen Sie selbst. Klarer als Prof. Mausfeld das beschreibt in seinem Buch kann man es wirklich nicht sagen.

Vielleicht noch eine kleine Leseprobe aus dem Epilog, um zu zeigen, was Sie erwartet:

Heute indes ist der öffentliche Debattenraum in einem Ausmaß verödet, durch das der Demokratie die Grundlage entzogen wird. Die massenmedial bestimmte Debatte ist durch eine bleierne Konformität und durch ein hohes Maß an Diskursverrohung gekennzeichnet, die den Andersdenkenden zum Feind erklärt. Das ideologische Gewölbe ist derart dicht abgeschlossen, das sich die Machtausübenden nicht einmal mehr rhetorisch darum bemühen müssen, die Illusion einer demokratischen Pluralität aufrechtzuerhalten.

Das Buch ist in akademische Sprache geschrieben, enthält viel Zitate und ist eine schonungslose Aufarbeitung der politischen Situation heute. Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Ausdauer beim Lesen. Sie werden es brauchen, denn schon nach wenigen Seiten wird das nachstehende Zitat von Thomas Hobbes mehr als verständlich:

Die Hölle, das ist die zu spät erkannte Wahrheit

Auch ich habe keine klaren Alternativen anzubieten, aber was und wo wir aktiv werden müssen, ist in wenigen Sätzen schon klar zu beschreiben:

  • Wir brauchen in Deutschland eine unabhängige Judikative.
    Die haben wir nicht, denn die Staatsanwaltschaft, die über die Verfahrenseröffnungen bestimmt, unterliegt der Führung der Exekutive (Justizminister).
  • Wir brauchen unabhängige Informationssysteme (Medien).
    Wir haben Konformität in den „Qualitätsmedien“ und einen hasserfüllten Diskurs im Debattenraum, der von übler Nachrede und Beleidigung bis zu frei erfunden Anklagen geht. Wie soll so ein zielführender Diskurs geführt werden.
  • Wir brauchen eine Eingrenzung von Macht in allen Bereichen des Lebens.
    Die Legislative ist der Gesetzgeber, und der ist in einer Demokratie das Volk und seine Vertreter. Wenn das Volk aber seine Vertreter nicht mehr bestimmen kann, hat die Demokratie ihre Grundlage ins Gegenteil verkehrt.
  • Wir müssen die Schere Besitz vs. Armut schließen.
    Es ist doch sinnfrei zu behaupten, das große Vermögen in privater Hand keine Macht ausüben würden. Die Schere lässt sich nur schließen, wenn in großen Vermögen abgeschöpft wird. Das kann nur durch eine Besteuerung geschehen.
  • Wir müssen Bildungs- und Chancengleichheit auf allen Gebieten herstellen.
    Wenn wie so oft schon berichtet der Zugang zu Wissen und Bildung von den Einkommensverhältnissen der Familien abhängt, in denen der Schüler/Student/Berufsanfänger aufwächst, kann von Chancengleichheit keine Rede mehr sein. Hier ist die Gesellschaft als Ganzes dafür verantwortlich, eine Änderung herbeizuführen.
  • Demokratie heißt, das alle sich an der politischen Gestaltung beteiligen können müssen.
    Möglich wird das durch die digitalen Werkzeuge. Es ist heute kein Problem mehr, eine Million oder mehr Menschen zu befragen und ihre Meinung einzuholen. Das muss auch nicht mehr über private Firmen laufen, sondern kann von der Regierung oder dem Parlament ausgehen.
  • Wir brauchen Demokratie in den Betrieben.
    Demokratie in Betrieben ist nach wie vor nicht vorhanden. Auch hier gibt es heute durch die digitalen Werkzeuge Möglichkeiten, die Angestellten in die Gestaltung der Firmenpolitik einzubinden.
  • Wir brauchen eine generelle Ächtung des Krieges in all seinen Formen und Beteiligungen.
    Hatten wir nach dem Zweiten Weltkrieg nicht die Überzeugung, das „nie wieder Krieg“ sein darf. Dabei sterben massenweise Menschen, es bringt Not und Leid und zerstört sinnlos, was mühsam und unter Opfern aufgebaut wurde, und ich frage offen: Für wen und für was soll das gut sein?
  • Wir brauchen Völkerverständigung und internationale Solidarität.
    Auch das hatten wir schon einmal und es wurde ohne Not einfach so in den Müll geworfen. Auch hier ist die Frage: Wer hat etwas davon? Ich gehöre auf jeden Fall zu den Verlierern. Wie sieht es bei Ihnen aus?
  • Wir brauchen die Beteiligung aller an den sozialen Auffangsystemen.
    Alle Bürger eines Landes sollen sich an den Sozialsystemen beteiligen. Das ist der Grundsatz eines Sozialsystems. Die Starken helfen den Schwachen, die Glücklichen den Glücklosen. Keiner sollte sich drücken dürfen.
  • Wir müssen „Die Würde eines Menschen ist unantastbar“ wieder zum Standard erheben.
    Muss hierfür wirklich wieder geworben werden. Es steht dort nicht, welche Meinung der Mensch mit Würde haben muss, welchem Volk er angehört oder wie viel Geld er hat. Dort steht nur „eines Menschen“.
  • Wir brauchen die Einsicht, das es nur friedvoll und gemeinsam weitergehen kann.
    Wohin Kriege, Sanktionskriege, Meinungskriege, Wettbewerbskriege und dergleichen führen, sollte uns allen klar sein. Kriege sind nie fair und treffen meist gar nicht die, die sie anzetteln. Ohne Krieg aber gibt es weder Gewinner noch Verlierer, sondern höchstens nur mehr oder weniger erfolgreiche Teilnehmer an Wettbewerben. Und ohne Krieg wäre genug Geld da, um den Glücklosen bei Wettbewerben zu helfen. So einfach sehe ich das!

Und sollte ich das Eine oder Andere wichtige nicht aufgeführt haben, so heißt das nicht, das es nicht noch mehr, sogar viel mehr Aktivitäten bedarf, um zu einer Lösung zu kommen. Jeder und Jede ist dabei gefragt, und die Aussage „Da können wir sowieso nichts machen…“ ist absoluter Unsinn. Wir sind Wähler, Käufer, Bewohner, Nachbar, Angestellter, Freund und vieles mehr. Jede unserer Masken ist eine gesellschaftliche Eingabe, hat gesellschaftlich Kraft und Wirkung. Wir sollten sie nutzen, solange sie noch Wirkung zeigen. Punkt 12 ist es zu spät! Danach knallt es nur noch.

  1. Westend Verlag, ISBN 978-3-86489-407-7

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