Kommen wir jetzt aber zum eigentlichen Thema, der Debattenkultur. Was ist eine Debatte überhaupt? Dazu Wikipedia:
Eine Debatte (von französisch débattre „(nieder-)schlagen“) ist ein Streitgespräch, das im Unterschied zur Diskussion formalen Regeln folgt und in der Regel zur inhaltlichen Vorbereitung einer Abstimmung dient. Thema einer Debatte kann eine Sach- oder eine Personalfrage sein. Die Geschäftsordnung der die Debatte organisierenden Körperschaft bzw. das entsprechende Debattierformat beim wettkampfmäßigen Debattieren (Debating) regelt die Form der Debatte. In einer Debatte werden die Für- und Gegen-Argumente einer These in kurzen Reden vorgetragen. Das Ziel des Debattenredners ist es, die Zuhörer bzw. im Wettbewerb die Jury von den eigenen Argumenten zu überzeugen. Deshalb zeichnet sich ein guter Redner nicht nur durch gute Argumente, sondern auch durch überzeugende rhetorische Fähigkeiten aus. Eine Debatte kann nur in einer guten Streitkultur funktionieren.
Debatten können in der Form einer Podiumsdiskussion stattfinden. Eine langanhaltende Debatte wird auch als Kontroverse bezeichnet. Hierunter fallen zum Beispiel wissenschaftliche Kontroversen.
Wie wir hier erstaunt lesen können, folgen Debatten bestimmten Regeln und werden als Streitgespräche bezeichnet. Das wäre sehr schön zu sehen im Bundestag, wo diese Regeln zum Arbeitsalltag der Abgeordneten zählen sollten, aber selbst hier im höchsten Hause werden die Redebeiträge und deren Länge stets nur von der Fraktion und dann auch noch nach Fraktionsstärke vergeben (s.u.). Und neuerdings ist zu sehen, das es mittlerweile auch dort Redner gibt, die sich gar nicht mehr um Regeln zu bemühen scheinen. Das Streitgespräch bedeutet doch, das hier Redner und Diskussionsteilnehmer aufeinander treffen, die unterschiedliche Meinungen zu eingegrenzten Themen entwickelt haben und diese vortragen (können). Und wenn wir uns dann unsere Medien (s.o.) einmal anschauen, die über Debatten informieren sollten, werden wir aber schnell feststellen, das dort weder Regeln (s.u.) beachtet werden noch ein Streit innerhalb eines Mediums stattfindet. Ich kenne nur wenige Angebote, wo, wenn auch nur in Ansätzen, eine Streitkultur gefahren wird, und das gilt sowohl für die „Qualitätsmedien“ als auch für alternative Angebote. Und das sind oftmals Angebote ohne Breitenwirkung wie z.B. das Philosophie-Magazin „Hohe Luft“. Nahezu jeder Sender, jedes Portal und jede Zeitung/Magazin stellt meist nur eine einzige Perspektive dar, und das ist meist die, die in Umfragen und Stimmungsbildern entweder positiv als Mainstream (mehrheitsfähig) und/oder negativ als Verschwörungstheorie (Außenseiter) angesehen wird. Aber auch das ist wohl angemerkt nur eine Verkürzung der verworrenen Angebote und dann noch eine Beobachtung, die keine Mehrheit finden dürfte, und Beweise kann ich dafür auch nicht vorlegen. Es gibt keine Studien darüber. Ich versuche daher jetzt erst einmal, einige allgemein gültige Beschreibungen von möglichen Regeln für Debatten zusammenzustellen.
- Innerhalb einer Debatte gibt es überwiegend eine nur begrenzte Anzahl von Meinungsbildern. Meist sind es nur zwei: Zustimmung oder Ablehnung. Das bedingt, das alle (beide) Seiten mit einer gleichen Anzahl von Rednern oder Teilnehmern bestückt sein müssten. Das ist, wer kennt die Diskussionssendungen im Öffentlich-Rechtlichen nicht, nur selten gegeben. Ich denke z.B. da an Sendungen mit Frau Wagenknecht, die meist von 3-5 Andersdenkenden umgeben ist und zusätzlich auch noch den/die Leiter*in der Sendung gegen sich hat, was sich leicht an den gezielt kontrovers ausgerichteten Fragestellungen einerseits und/oder den helfenden Stichworteingaben andererseits erkennen lässt.
- Dann spielt natürlich der Ablauf der Redebeiträge eine große Rolle. Wenn sich bei den oben abgebildeten Beispiel im Verhältnis 4:1 jede Seite abwechseln zu Wort kommen soll, was als Standard in Debatten angesehen wird, müsste Frau Wagenknecht jeden zweiten Beitrag bestreiten. Das ist aber nicht so. Auf der einen Seite stehen 4 mal Meinung A plus Hilfestellungen der Leitung gegen einmal Meinung Z plus widrige Fragen der Leitung. Das ist meist nicht nur unfair, sondern widerspricht allen Regel einer Debattenkultur.
- Dann solltet es in jeder offen ausgetragenen Debatte Zeit geben für einen Faktencheck. In diesem Zeitfenster sollten die Aussagen der Redner von einem außenstehendem Team gegen gecheckt werden können. So wird vermieden, das z.B. Amtsträger mit speziell dargelegtem Zahlenmaterial aus der Allgemeinheit unzugänglichen Quellen punkten können. Das heißt mit anderen Worten, das jeder Redner die Herkunft seiner als Argument dargelegten Zahlen und Fakten belegen können muss, damit Waffengleichheit herrscht. Heute, in der Zeit von Internet und EDV-basierten Systemen sollte das wirklich nur Minuten verbrauchen, zumal der Redner seine zur Verwendung gekommenen Quellen schon vorab offenlegen kann.
- Dann gibt es eine neue Unsitten in Debatten, nämlich die vielfältig angewendete Kunst, durch freche Einwürfe und Zwischenrufe den gegnerischen Redner aus der Konzentration zu werfen oder seinen Beitrag zerrissen und zerstückelt aussehen zu lassen. Hier wäre die Leitung gefragt, die jegliche Versuche oder Tätigkeiten dieser Art zu unterbinden hätte. Auch das ist, wenn ich öffentlich-rechtliche Formate mir in Erinnerung rufe, nur äußerst selten gegeben. Ausreden können ohne gestört zu werden sollte in unserer Kultur eigentlich selbstverständlich sein. Aber, das was so tagein-tagaus über den Bildschirm flackert, spricht eine andere Sprache.
- Eine weitere Unsitte, die hier angesprochen werden muss, ist die gerne gewählte Form, Fragen nicht oder nur am Rande zu beantworten und statt dessen mit ausschweifenden Detailerläuterungen und nicht-nachvollziehbarem Zahlenmaterial viel Redezeit einzunehmen, was dann genau besehen mit der gestellten Frage eigentlich gar nichts zu tun hat. Auch hier wäre eine Unterbrechung durch die Gesprächsleitung sinnvoll, wird aber meist nur beim Minderheitsredner auch regelmäßig eingesetzt, so das deren Beiträge noch zusätzlich zerstückelt werden. Wer unterbricht schon gerne einen herum schwafelnden Minister, ohne befürchten zu müssen, das dieser niemals mehr einer Einladung folgt.
- Viele Debattenbeiträge von Amtsträgern riechen förmlich nach der Tinte eines Schreiber-Teams, das sich im Vorfeld und unter Kenntnis der gestellten Fragen der Leitung vorgefertigte Redebeiträge abliefert, die der debattierende Redner dann nur noch ausführen muss. Diese sind erstens meist sehr glatt und dicht ausformuliert und beruhen, man sieht es oft in Satiresendungen zusammengeschnitten, auf wie aus einem Baukasten zusammengesetzten Steinen, die Naht an Naht zusammenpassen. Daher sollte in einer offenen Debatte keiner der Redner die ihm gestellten Fragen vorab zur Kenntnis gelangen. Er sollte so gezwungen sein, einen authentischen Beitrag zu liefern. Es sollte weiterhin Platz sein für sachliche Kritik am Beitrag des Anderen und somit auch die Möglichkeit offen lassen, auf den Gegenstandpunkt des anderen zuzugehen, sich eventuell sogar anzunähern oder Konsens anzustreben. Ich weiß aus sicherer Quelle, das viele hochgestellte Amtsträger weder Debatten noch Interviews annehmen, wenn sie die gestellten Fragen nicht vorab eingereicht bekommen. Dabei wurden deutsche Minister, Ministerpräsidenten und hohe Parteifunktionäre namentlich benannt.
- Eine ganz große Unsitte zwar nicht in Debatten-Sendungen, sondern mehr im Nachrichtenformat ist die Angewohnheit, mit dem Mikrophon auf die Straße oder zu Leuten nach Hause zu gehen, also irgendwelche Leute zu befragen und deren Aussagen dann, zusammengeschnitten und wohl sortiert, als die Meinung der Minderheit und/oder der Allgemeinheit zu verkaufen. Was in der Satire noch lustig ist und der Unterhaltung dient, ist im Nachrichtenformat schlicht und einfach nur üble Nachrede und das Ausstellen von Stammtischgeplapper, sonst nichts. Dem Volke auf Maul zu schauen kann doch wohl nicht als Debattenbeitrag zu verstehen sein. Wer jemals auf einer Vereinssitzung dabei war, weiß, wovon ich hier schreibe. Als Rede- und Debattenbeitrag zu wirken braucht Vorbereitung, braucht vielfältiges Detailwissen und Konzentration. Das kann doch nicht innerhalb eines Überfalls auf der Straße geschehen.
- Eine geschriebene Debatte, das ist das Format, das in Magazinen über aktuelle Themen eigentlich verwendet werden sollte, sollte neben der Zusammenfassung des Themenkomplexes eine „Für und Wider“-Auflistung vorkommen, die den Stand der Aktualität abbildet. Darin werden alle Argumentationslinien der Debatte beschrieben und zumindest kurz erläutert. Eine geschriebene Debatte sollte somit wirken wie eine verfolgte Diskussion der Streitparteien, so das der Leser nachvollziehen kann, worum es eigentlich geht. Und dann benötigt sie noch die Hintergrundinformationen und deren Quellen, damit der interessierte Leser selbst noch tiefer in die Materie eindringen kann. Nur wenige Magazine enthalten ein solches Format, und zumeist sind sie dann noch einseitig aufgebaut und schlecht recherchiert. Und bei der Preisgabe von Hintergrundinformationen oder Quellen sehe ich nahezu kein politisches Magazin, das solche Kriterien auch nur annähernd erfüllen kann.