Angst und ihre Wirkung auf die Parteienlandschaft

Sie sind wieder da, die Ressentiments, die Europa in Jahrhunderten zu einem Schlachtfeld geformt hatten und ihr unbarmherziges Treiben aus der Idee des Feindes gewannen. Nur sind die Feinde heute nicht mehr der Nachbar, der hinter der Grenze sitzt und mein Staatsgebiet einengt, sondern der Feind heute macht sich fest an Lebensart und Denkweisen, die allein schon durch ihre bloße Existenz mein kleines eingewohntes Reich bedrohen.


Da gibt es tatsächlich Menschen, die sich anders kleiden als ich, Menschen, die anders beten als ich und Menschen, die genau wie ich in Frieden und Sicherheit leben wollen. Der Unterschied ist, dass in deren Heimatland ein Krieg stattfindet, der dieses unmöglich macht und sie daher gezwungen sind, sich eine neue Heimat zu suchen. Und so machen sie sich auf, unter Lebensgefahr, um ihre Kinder in der Fremde großzuziehen, und sie haben sich uns ausgesucht. Wen sonst würde man wählen, ein reiches und stabiles Land natürlich, mit netten Menschen und ausreichend Potential. Ich finde das verständlich, kann das auch akzeptieren und ich bin bereit, etwas beizutragen.

Leider ist diese Beschreibung unseres Landes nur die Ansicht, die über Medien und Netz weltweit verbreitet ist. Taucht man aber tiefer ein in unsere Gesellschaft, findet man eine ganz andere Welt vor. Hier regiert nicht die Arroganz und Überheblichkeit früherer Kolonialzeiten, und es ist auch nicht einfach nur ein hässlicher Rassismus, der uns quält, obwohl es oberflächlich betrachtet so interpretiert werden könnte. Was herrscht unter der bunten Decke ist pure nackte Angst, die Angst zu verlieren, die Angst durchzufallen, die Angst abgeschnitten zu sein von den großen Errungenschaften der modernen Zeit. Und diese Angst wurde ausgewählt und bewusst impliziert, um die Macht der arbeitenden Massen zu brechen und eine kleine Gruppe von Profiteuren zu schützen. Soweit so gut, das Ganze heißt eigentlich die neoliberale Agenda und findet in einer globalisierten Marktwirtschaft statt. Dass dieses Gefüge zu Krisen führen musste, war von Anfang an klar, dass diese dann auch noch für zusätzlichen Profit genutzt werden konnten, war zwar ungeplant, wurde aber gerne mit und in Kauf genommen. Das System funktionierte großartig und war mangels organisierten Widerstands alternativlos. Die wenigen Gruppen, die nicht mitspielen wollten waren entweder historisch vorbelastet (Die Linke) oder wurde missbilligend als rüpelhaft angesehen.

Doch jetzt hat sich das Blatt gewendet, denn die „Rüpelhaften“ konnten sich organisieren, haben eine neue Partei zustande gebracht und beginnen jetzt, das aufgelaufene Protestpotential, die Unzufriedenen und vor allem die große Masse der Ängstlichen für sich zu gewinnen. In der letzten Landtagswahl wurde jetzt die 20% Marke gerissen und es ist unverkennbar, dass hier eine neue Volkspartei entsteht. Dumm gelaufen? Der Wähler ließ sich nur mal verführen und das gibt sich wieder? Da brauchen wir nur ein paar neue Sprüche aus der Werbeecke, und alles ist wie vorher? Leider nein, so einfach wird sich das Problem nicht wegwischen lassen. Die Neuen sind nämlich unbelastet, sprechen die Sprache des Volkes, nutzen die vorhandenen Ressentiments, die unter der Decke schlummern und pflegen sorgfältig ausgesuchte Feindbilder, die jeder versteht. Das erscheint mir etwa so zu sein wie die Erfolgsgeschichte der Arbeiterbewegung des letzten Jahrhunderts. Zuerst spärlich wachsend, im Verborgenen angesiedelt und angefeindet, dann mit zunehmenden Zuspruch wachsend und schließlich unbezwingbar durchbrechend. Bis hierher sind wir einer realen Geschichte gefolgt, bis hierher ist alles belegbar. Doch wie wird es von hier aus weitergehen. Wohin wollen wir? Haben wir eine Idee, ein Ziel, eine Vision, oder folgen wir immer weiter unserer Angst, die zum Heute geführt hat?

Nun könnte man in den Parteien zu der Meinung gelangen, das die gleichen Artikulationen wie die neue Kraft die Wählerstimmen zurück zu den Etablierten ziehen werden. Dieser Ansicht scheint gerade unsere heißgeliebte CSU anzuhängen, denn ihr Forderungskatalog könnte geeignet sein, den ungeliebten Widersacher rechts zu überholen, nur, wer wird den alten Recken jetzt noch Glauben schenken? Sie haben doch bisher nichts Sinnvolles getan, und sie werden in Zukunft auch nur Versprechen machen und diese dann nicht halten. Zumindest so würde ich das betrachten, wenn ich mit meiner Stimme protestieren wollte. Erschwerend für die CSU kommt hinzu, dass sie nur mit 7,5% der bundesdeutschen Stimmen im Bundestag sitzt und ein Rückfall auf 32% Zustimmung in Bayern sie zwar dort immer noch stärkste Kraft sein ließe, aber die Hürde von 5% zum Einzug in den Bundestag verpassen könnte. Dann blieben nur noch die drei Direktmandate zum Einzug in den BT, und das wäre eine Blamage. Außerdem aktiviert die neue Kraft Nichtwähler, was den Effekt noch verstärkt.

Auch für die CDU wird es enger und enger. Die konservativen Wähler am rechten Rand werden fehlen. Und in der Mitte tummeln sich ja noch ein paar Parteien mehr, Parteien, denen man in der Regel mehr Mitte zutraut als den Stammkonservativen. Über das übliche System der Meinungshoheit und Meinungsmache sind unzufriedenen Menschen auch nicht mehr erreichbar, da diese die Medien in der Gesamtheit für die „Lügenpresse“ hält. Und das ist jetzt wirklich dumm gelaufen und man hätte sich eigentlich denken können, dass so etwas passieren muss und die Frage war nur, wann es soweit sein würde. So schnell hat niemand mit einer Reaktion der Masse gerechnet. Was in solchen Fällen notwendig erscheint ist ein Neuanfang, aber wie sollte der vonstattengehen? Merkel hat alle ernstzunehmenden Kandidaten für ihre Nachfolge entzaubert. Schäuble, der einzig Verbliebene, als Kanzler? Da wird es schwierig mit Koalitionen.

Und die gute alte SPD? Die hätte nur eine einzige Chance, und die hieße: Vertrauensfrage stellen, Koalition kündigen und mit Rot-Rot-Grün die Regierung übernehmen. Sie hätte eine Vier-Stimmen-Mehrheit und somit noch ein Jahr Zeit, einen Kurswechsel zu erzwingen. Vielleicht kehrten dann die Protestwähler ihrer Partei zur Formation zurück. Eine andere Möglichkeit wäre es, die CSU aus der Koalition zu werfen und nur mit der CDU weiter zu regieren. Ob die CDU dies akzeptieren könnte ist fraglich, aber nicht unmöglich. Es würde Rot-Rot-Grün verhindern, was Konservative auch verstehen würden. Aber glaubt wirklich irgendjemand, dass die alte Dame SPD solcherlei zustande bringt. Eher würde wohl China eine Provinz von Hongkong werden. Diese Ex-Volkspartei ist fertig, am Boden zerstört, hilf- und machtlos ohne Perspektive. Sie hat ihre Wähler verraten und die verzeihen nicht so schnell. Das wird einige Legislaturperioden dauern und bleibt wahrscheinlich ein Jammertal!

Protest einzudämmen ist einfach. Man braucht dazu nur seine Ursache mit wenig Aufwand so zu verändern, das protestieren heute nicht mehr notwendig erscheint. Anders ist es um die Angst bestellt. Diese ist nachhaltiger, sitzt tiefer und ist mit ein paar kleinen Bonbons nicht zu entschärfen. Hier muss über einen großen Zeitraum hinweg die Ursache der Angst spürbar negiert sein. Die Ursachen der Angst sind aber Sozialabbau, Armut, Bildungsnotstand, fehlende Perspektiven, mangelhafte Sicherungssysteme, fehlende Motivation und der alltägliche Eindruck, in einer durch-kriminalisierten Welt zu leben. Das ist mit ein paar kleinen Korrekturen nicht zu schaffen. Hier müsste das Gefüge unserer Gesellschaft grundlegend verändert werden, weg von Rücksichtslosigkeit und Egoismus hin zu einem menschenfreundlicheren Entwurf. Es gab diese Agenda schon einmal, sie hieß, in Schlagworten gesprochen: „Wohlstand für Alle“, „die Renten sind sicher“, „mehr Demokratie wagen“ und „der Mensch steht im Mittelpunkt“. Davon sind wir heute aber so weit entfernt wie Berlin von der Antarktis. Wir sollten uns trotzdem auf den Weg machen, irgendwie.

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