Dann braucht es Volksabstimmungen und öffentlich zugängliche Meinungsumfragen, um zumindest über die Richtungsentscheidungen der Politik die Meinung des Souverän einzuholen. Auch hier wiederum gilt das Argument, das wir im 21. JH leben, über Digitalisierung verfügen und nicht mehr zu jeder Abstimmung in einen kommunalen Kindergarten pilgern müssen. Das geht auch online, und die wenigen nicht online anzutreffenden Mitbürger könnten von den Kommunen ein Angebot zur Abstimmung im Bürgerbüro erhalten. Auch sind Abstimmungen ausgeloster Bürger in der Größenordnung von 100000/200000 Teilnehmern denkbar. Eine repräsentative Umfrage wäre das Vorbild für die letztgenannte Möglichkeit, den Souverän zu Wort kommen zu lassen, nur würden hier für die Nominierung der Teilnehmer nicht von privaten Firmen, sondern über Los entschieden. Es gibt in einer digital ausgestatteten Welt viele Möglichkeiten und Techniken, „mehr Demokratie zu wagen“. Man müsste es nur wollen. Die Abstimmung über Stuttgart 21 hat gezeigt, das die Beteiligung der Bürger an den Entscheidungen deutlich zu Akzeptanz und Frieden beitragen kann.
In meiner Phantasie würden schon diese drei Voraussetzungen unsere Mini-Demokratie-Ausgabe zu einer echten Demokratie ausformen können. Ich finde, die Zeit ist reif dafür. Und dafür müsste nicht einmal viel geändert werden. Es wäre eine Entscheidung des Staates, politischen Medien Unabhängigkeit und Sicherheit zu garantieren, selbst wenn dazu Neugründungen notwendig wären. Geheime Abstimmungen widersprechen keinen Gesetzen, im Gegenteil. Und Volksabstimmungen und öffentliche Umfragen wären keine große Aufgabe, gibt es doch schon zahlreiche nicht-öffentliche Umfragen, auf die unsere Regierung laut einer Anfrage einer kleinen Partei schon lange zugreifen kann. Und große Volksabstimmungen könnten gebündelt ein-, zweimal pro Jahr oder bei Bedarf stattfinden. Es ginge ohnehin nur um Richtungsentscheidungen wie Kriege führen: ja/nein, Zuwanderung zulassen: ja/nein, Flüchtlinge aufnehmen: ja/nein, Grundgesetzänderungen oder wie zur Zeit den Corona-Lockdown: ja/nein? Das sollte eine hochtechnisierte Zivilisation mit gebildeten Bürgern doch wohl hinkriegen.
Natürlich müssen in einer Demokratie die Rechte jedes Einzelnen auch geschützt werden können. Dazu ist eine Ordnung und die Vergabe einer Ordnungsmacht unumgänglich. Leider haben unsere Demokratien noch kein Konzept entwickelt, das dieses Problem wirkungsvoll und gewaltfrei löst. Ohne Gewaltanwendung zu legitimieren wird das daher auch in absehbarer Zeit nicht gelingen. Wir sehen in allen Teilen der Welt, nicht nur in den USA, die Probleme, die mit Gewalt und Staatsgewalt verbunden sind. Aber hierbei eine Annäherung an den Idealzustand zu versuchen ist auf jeden Fall immer möglich. In einer Gemeinschaft kann nun einmal nicht jeder machen was immer er möchte. Das ist falsch verstandene Freiheit. Meine Freiheit und die Freiheit des Anderen ist ein Balance-Akt, der nicht in Stein gemeißelt sein kann. Balance heißt Ausgleich, Ausgleich heißt permanente Anpassung, heißt immerwährende Regulierung. Bis zum Erscheinen der gewaltfreien Menschheit auf dieser Welt wird sich dieses Problem wohl auch nicht lösen lassen. Hier ist Vernunft, Verständnis, Toleranz, Bildung auf breiter Basis und ein sehr langer Atem gefragt. Demokratie im Allgemeinen ist eine sehr anstrengende, langwierige und aufwendige Form, Gemeinschaften zu verwalten und zu leiten. Eine Diktatur hat es da viel leichter. Und es wird sicherlich auch morgen gegenüber heute nicht einfacher werden, „noch mehr…, und noch viel mehr…“ zu wagen. Aber gibt es eine wirklich gute Alternative? Wir sollten den Mut aufbringen, das wirklich ernsthaft zu versuchen!