Wir alle, die wir in Mitteleuropa leben, sind stolz auf die größte politische Errungenschaft unserer zivilisierten Welt, die Demokratie. Und wir übersetzen dieses Wort, dessen Herkunft aus dem Griechischen abgeleitet wird, gerne mit der ‚Herrschaft des Volkes über das Volk‘ und bezeichnen diese Herren, also uns alle, dann gerne als den Souverän. Nun ist das Wort Herren durchaus angebracht, denn weltweit betrachtet sind es in Demokratien nach wie vor und überwiegend Männer, die Macht ausüben. Daran haben auch Demokratie-, Frauen-, Freiheits- und Ökologiebewegungen nicht wirklich viel zu ändern vermocht.
Nun, um schon einmal die Richtung meiner niederzulegenden Ansicht vorzugeben: Ich halte die bestehenden Demokratien nicht für das Maß aller Dinge. Es sind trotzdem die freiesten Regierungsformen, die es je auf dieser Welt gab, aber da ist noch viel Luft zum Besseren hin. Und ich sehe vielfältige Möglichkeiten, diese Luft auch aus dem Gefäß in zielführender Weise herauszulassen. Natürlich kenne ich die beiden großen Richtungen, die in der Soziologie, der Politikwissenschaften und der Wirtschaftssysteme immer wieder beschrieben und für Reformen hervorgeholt und verwendet werden. Diese sind einerseits, und ich beziehe mich hier auf die von Nassehi aufgezeigte Unterscheidung, der Weg über Appelle, die ein aufgestelltes Ideal erreichen oder herbeiführen sollen, mit anderen Worten geschrieben über individuelle Einsicht, oder aber der Weg über kollektives Handeln, das wir oberflächlich betrachtet als Konservatismus bezeichnen und das in der Regel mit Ordnungssystemen und dem Zulassen von Strebsamkeit des Einzelnen arbeitet. Was Nassehi aber in seinem Buch „Die letzte Stunde der Wahrheit“ ebenfalls zu erläutern versucht, ist, das beide genannte Beschreibungsweisen in sich nicht klar erscheinen und eher die Neigung haben, in einer schwammigen Mitte sich zu vereinen. Aber auch er weicht dann auf den Versuch aus, die bestehenden Verhältnisse in Gesellschaften anhand von Komplexität zu beschreiben. Diese Verfahren allerdings sind sehr akademisch angehaucht und einer großen Masse nur schwer zu vermitteln. Was ich hier versuche liegt auf einer anderen Schiene. Ich versuche, das bestehende System ohne grundlegende Reformen zu belassen, versuche auch nicht auf Moralität oder Ähnliches zu verweisen, sondern versuche den alten und längst vergessenen Begriff der Weisheit zurückzukommen. Das geschieht dergestalt, das die Widersprüche zwischen Gesetz und Wirklichkeit klargelegt werden und dann versucht wird, den detektierten Schiefstand mit geringem gesetzlichen Aufwand etwas gerade zu ziehen. Beispiele dafür die Verweise, die sich auf die Gewissensfreiheit von Abgeordneten und die nur wenig legitimierte Macht der Parteien oder der Presse beziehen. Weisheit gründet sich nicht nur auf Vernunft im Sinne Kants, sondern auch auf Menschlichkeit, Machbarkeit, Vermittlungsfähigkeit und geht eben nicht von einem Ziel oder Ideal aus, sondern vom Jetzt und Hier und versucht eine gefällige Lösung zu finden, mit der alle betroffenen Mitspieler leben können, wobei „leben“ mehr etwas mit Toleranz als mit Gerechtigkeit zu tun hat. Der Weise weiß, das Gerechtigkeit in Gesellschaften mit Machtgefügen nur eine begrenzte Rolle spielen kann und versucht daher mehr, Macht-Exzesse einzudämmen oder einzuhegen als sie zu verhindern.
Betrachten wir aber zunächst einmal das Wort Demokratie etwas genauer. Demos ist der griechische Begriff für Volk. Kyros ist im Griechischen ‚die Macht besitzen‘, ‚die Macht ausüben‘ oder genauer ‚der(die)jenige(n), der(die) Macht Gesetzeskraft verleihen kann‘. Früher waren das Adlige, also genau genommen sich irgendwann etablierte Familien, die die ihnen übertragene Gesetzesmacht per Vererbung an ihre Nachkommen weitergaben. Was daraus sich so alles entwickelte, ist hinreichend bekannt und kann auch heute noch in der Welt beobachtet werden. Daher wurden irgendwann diese Familien gestürzt, also von der Macht zu Regieren befreit, und das Volk setzte sich selbst als Souverän ein. Ziel war es, durch regelmäßigen Wechsel in den Machtpositionen, hervorgerufen durch Wahlen, die Macht Einzelner grundsätzlich zu begrenzen. Somit herrscht also das Volk über sich selbst und niemand wäre mehr in der Lage, Auswüchse wie in Monarchien beobachtet in Gang zu setzen. Das ist kurz und bündig unsere allgemein gültige Erläuterung zur Demokratie. Stimmt das so? Herrscht in den bestehenden Demokratien wirklich das Volk über sich selbst?