Jedem, der diese beiden Beispiele liest, wird feststellen müssen, das hier zwei vollkommen konträre Sichtweisen, zumindest aber aus konträren Perspektiven auf ein Thema geschaut wird. Und obwohl die beiden Autoren wahrscheinlich nicht mehr miteinander werden diskutieren können, ohne sich in die Haare zu geraten, haben beide Seiten und ihre jeweilige Sichtweise durchaus ihre Richtigkeit. Ob die getroffenen Maßnahmen für das relativ gute Abschneiden bei den Todeszahlen verantwortlich zeichnen werden wird realistisch betrachtet den Historikern überlassen bleiben müssen. Gleiches gilt auch für die „Verstöße gegen das Grundgesetz“ und die Frage, ob diese wieder aufgehoben werden nach der heißen Phase der Pandemie oder ob diese mit immer weiterführenden Krisenszenarien einfach beibehalten werden. Heute sollten wir zunächst froh darüber sein, das überhaupt Maßnahmen entschieden und durchgesetzt wurden. Man hätte ja auch einfach, frei nach den ökonomisch bekannten Gepflogenheiten, ja Menschen, denen es an Widerstandsfähigkeit mangelt, einfach sterben lassen können. Wir tun und taten dieses in Kriegszeiten und -gebieten, tun dies in unterentwickelten Ländern und den dort vorzufindenden billigen Arbeitskräften, denen wir sogar auf der ganzen Welt aus Profitgründen nachreisen, seit Jahrhunderten und verschwendeten kaum einen Gedanken daran, dies ändern zu wollen. Und das diese Maßnahmen hier bei uns keine Dauerlösung sein dürfen, ist ebenso richtig und ein wertvoller Hinweis. Die beiden Meinungsäußerungen sind meiner Ansicht nach gar nicht konträr und können auch gar nicht miteinander verglichen werden. Ihnen liegen nämlich unausgesprochen andere Grundgedanken zugrunde. Eine Seite möchte belegen, das die Maßnahmen bei aller Last doch sinnvoll seien und ruft daher sozusagen zu Geduld und Folgsamkeit auf, die andere Seite sieht langfristige Gefahren heraufziehen und befürchtet, das angesichts der Folgsamkeit ein autoritärer Staat entstehen könne. Und beide machen das gut und ich halte daher auch beide für berechtigt. Die Unterscheidung der Gedankengänge steht aber nicht im den Texten, sondern ist nur zwischen den Zeilen zu erkennen. Dafür aber muss die Fähigkeit eines Lesers vorausgesetzt werden, diese Zwischentöne auch zu erkennen, denn sie werden selten dort explizit erklärt.
Und hier stellt sich auch schon eine wichtige Frage an die Gesellschaft, die durch die Pandemie-Krise ausgelöst und wunderbar erhellt wird: Müssen wir nicht feststellen, das unsere Medien, auf die wir zur Beurteilung von staatlichen Entscheidungen in einer Demokratie angewiesen sind, eine Durchmischung von Nachrichten und Meinungen in der Berichterstattung vollziehen und so den Auftrag zu informieren in weiten Teilen konterkarieren und sogar unmöglich gemacht haben. Dieses Ineinanderfließen von Nachricht und Meinung, weiterhin die Auswahl von Nachrichten nach irgendwelchen Kriterien und generelle Setzungen von Perspektiven erfüllen die Informationspflicht nicht, die Medien eigentlich haben. Sie produzieren auf diese Weise geformte Manipulationen und erfüllen somit sogar die Definition des Begriffs „Propaganda“. Was die Menschen brauchen, um sich eine eigene Meinung bilden zu können, sind Nachrichten pur, und wenn private Medienhäuser dies nicht bereit stellen können, müssten eigentlich öffentlich rechtliche Anstalten diese Lücke ausfüllen. Das tun sie aber nachweislich schon lange nicht mehr. Oder haben Sie zumindest am Anfang der Krisenzeit in den Nachrichten und Spots jemals kritische Stimmen bezüglich der Maßnahmen gehört? Vielmehr gleichen sich die Inhalte dort mehr und mehr den falschen und privatrechtlichen Methoden an und produzieren ebenfalls nur noch vorgefertigte Meinungen, mit anderen Worten: „Propaganda“. Es ist zwar keine Propaganda für eine Partei, eine Weltsicht oder einen Machtstil, vielmehr wird hier eine sogenannte Meinungsmehrheit bedient, die meist auch noch auf Umfragen privater Firmen und Klickzahlen von privaten Medien beruhen. Hier beißt sich sozusagen die Katze wiederum in den Schwanz. Auf der einen Seite hört das politische Establishment auf private Institute wie die Johns Hopkins University, das Robert Koch Institut oder auf Spezialisten privater Unternehmen wie der Charite, auf der anderen Seite werden Aussagen des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bei Einschätzungen und rechtlichen Fragen regelmäßig ignoriert. Ich denke besonders an die Fragen zu dem Verhalten gegenüber Kuba, Russland und Venezuela, gegenüber den Einsätzen der Bundeswehr und andere das Grundgesetz betreffende Fragen, die in den letzten Jahren anstanden. Aber das ist nicht Thema dieses Artikels. Sollten unsere Öffentlich Rechtlichen nicht vielmehr ein viel breiteres Meinungsspektrum ausstrahlen. Nach der Ukraine, nach den Krisen im Nahen Osten und jetzt Corona mussten wir doch bemerken, das hier nach wie vor einiges im Argen liegt. Die öffentlich bezahlten Sender werden von allen Bürgern finanziert und sollten daher in der Berichterstattung bevorzugt überprüfbare Nachrichten vermitteln. Sie können gerne zusätzlich, aber nur in entsprechend ausgewiesenen Sendungen, auch Meinungen ihrer Bürger einen Platz einräumen. Sie sind aber absolut nicht Dienstleister der Regierungen oder der Wirtschaft. Es wäre an der Zeit, das zu verändern.