Wo immer und wann immer Meinung und Nachrichten gelesen oder kommentiert werden, ist mehr und mehr von Populismus die Rede. Begründet wird diese Ansicht mit der gefühlten Tatsache, in postfaktischen (Wort des Jahres 2016) Zeiten zu leben und daher als Volk oder Masse betrachtet mit der Gefahr konfrontiert zu sein, Rattenfängern in die Hände zu fallen und damit bedroht zu sein, in ein politisches Nullfeld zu fallen. Populisten sind dabei immer die Akteure der politischen Bühne, die am bestehenden System und dessen Grundlagen rütteln und wie auch immer geartete Verbesserungen einführen wollen. In Deutschland sind betroffen die rechten und linken Randparteien, in anderen europäischen Ländern die rechten Volksparteien und im amerikanischen Mustertraumland die republikanische Partei mit ihrer neuen Leitfigur Trump.
Betrachtet man aber die politische Landschaft in ihrer Gesamtheit, fällt auf, das Populismus nicht nur an den Rändern der politischen Welt wächst und gedeiht, sondern mehr und mehr zur allgemeinen Grundlage politischen Wirkens geworden zu sein scheint. Keine Partei in Deutschland hat heute ein politisch geschlossenes Konzept, verfügt über eine Agenda, die zukunftsweisend auf eine bessere Welt deutet geschweige denn über eine Vision, wie sie noch zu Brandts Zeiten mit „mehr Demokratie wagen“ oder einer neuen außenpolitischen Zielrichtung bestand. Mehr und mehr ist nur noch die Verwaltung der bestehenden klapprigen Ruine gefragt, zu der unser politisches und wirtschaftliches System verkommen ist. Es wird im Grunde nur noch renoviert, gestützt und mühselig am Leben erhalten, was ein lebendiges Volkswesen sein sollte.
Betrachtet man die Definitionen von Populismus (Wikipedia genügt), so fällt sofort auf, dass unsere Große Koalition sich fast ausschließlich auf populistischen Grundlagen zu bewegen scheint. Wer wie Merkel und Co nach Umfrageergebnissen regiert und gestaltet, wer sich ständig neu in den Wind der Hauptströmungen dreht, regiert populistisch oder zumindest mit populistischem Gewand. Um die Wendungen zu erkennen benötigt man nicht einmal politische Bildung, es genügen aufmerksames Zuhören und ein einfaches Langzeitgedächtnis. Ob „mit mir wird es keine Maut geben“, ob nach Laufzeitverlängerung der plötzliche Atomausstieg, ob Abschaffung der Wehrpflicht, ob „wir schaffen das“ und die anschließende Schließung der Grenzen, ob „Mindestlohn ist kein Thema aktueller Politik“, immer ist eine Wendung zur politischen Tagesströmung zu beobachten, oftmals sogar eine Wendung in eine entgegengesetzte Richtung.
Nun ist es ja eigentlich so, dass das Volk in Deutschland selbst über sein Schicksal bestimmen soll. Zumindest steht das so im Grundgesetz. Allerdings wurde im Angesicht der Erfahrung der NSDAP-Jahre lediglich eine repräsentative Demokratie installiert, in der politische Parteien eine große Rolle zu spielen haben sollten. Dass diese aber, wie neuerdings beobachtet, alle ins selbe Horn stoßen, das Rot, Grün, Gelb und Schwarz sich alle in derselben Mitte ansiedeln und somit nur noch einen Einheitsbrei zustande bringen, wurde damals nicht bedacht. Trotzdem erklärt dies nicht die farblose und monotone Alternativlosigkeit allein, die zur Zeit in Berlin vorherrscht. Der Atomausstieg war eine populistische Entscheidung, denn es drohte eine Partei zu erstarken, die Fukoshima durchaus zu nutzen verstand. Anders ist es mit der Abschaffung der Wehrpflicht. Hier scheint die Idee im Vordergrund zu stehen, dass eine Wehrpflichtarmee nicht für Kampfeinsätze im Ausland zu gebrauchen sei. Der Mindestlohn war nicht aufzuhalten. Seine Einführung auf niedrigem Niveau brachte viel Sympathie und kostete wenig. Das eine Maut nur für Ausländer, wie gefordert, nicht zu verwirklichen ist, war jedem in diesem Lande wohl klar. Was aber verwirklicht werden kann ist eine Maut für alle. Hierin sehe ich das politische Kalkül, diese Chimäre wieder auferstehen zu lassen. Die Schließung der Grenzen haben andere für uns erledigt, und wir helfen gerne und überall dort, wo die flüchtenden Menschenmassen billig zurückgehalten werden können. Was ich mich immer wieder frage, ist wer das Programm schreibt, dass all die Details zu einem großen Ganzen zusammenbringt.
Ich sehe hier in der politischen Ausrichtung eben nicht nur billigen Populismus, sondern hier findet unter einem populistischen Mäntelchen durchaus klar definierbare Machtpolitik statt, Machtpolitik, die das Bestehende beschützt und fest zementiert. Profitieren davon werden alle, denen es bisher schon gelungen ist, ihre Schäfchen trocken zu halten und ihren Reichtum zu mehren. Einige Steigbügelhalter aus der Politik werden dazukommen und in der Mitte der selbsternannten Eliten ihren neuen Platz finden, denn eine der grundlegendsten Definitionen von Populismus enthält nun einmal die klare Trennung von regiertem Volk und regierender Elite. Nur in dieser Trennung ist Populismus überhaupt möglich. Ich glaube nicht an das Aufkommen eines neuen Populismus durch die arbeitenden und verarmten Massen. Ich glaube vielmehr, dass mit diesem Begriff eine neue Chimäre großgeredet wird, die dem Volk selbst das Versagen der Eliten in die Schuhe zu schieben gedenkt nach dem Motto, wir sind selbst schuld, wenn wir populistische Parteien wählen. Und wenn wir dann, enttäuscht und erneut verunsichert, diese Hässlichkeiten nicht mehr sehen wollen, rufen wir wieder nach denen, die den Karren einst in der Dreck gefahren haben. Tolles Rezept das Ganze. Wie viele Thinktanks werden sich wohl daran in schlaflosen Nächten die Gehirnwindungen verbogen haben?
Sie denken jetzt, das sind Verschwörungstheorien? Ja, heute sind es selbige, aber morgen? Morgen werden uns auf diese Weise nämlich die gleichen Schwätzer regieren wie heute. Das Rads wird sich weiter drehen. Ich sehe die Profiteure in ihren Villen sich schon ins Fäustchen lachen: Die Proleten, die kapieren es einfach nicht!