Ist Krieg wieder die letzte Zeile im Maßnahmenkatalog der Politik?
Wir lesen heute immer wieder in den Veröffentlichungen, das der Krieg erst kürzlich wieder in die Welt der Europäer zurückgekehrt sei. Stimmt das, gab es lange Jahre des Friedens auf diesem kleinen Kontinent? Nun, ein Krieg ist heute nicht mehr dasselbe wie vor 80 Jahren. Heute ist Krieg eine Auseinandersetzung mit allen Mitteln, die sich zu Waffen machen lassen. So sind Rohstoffvorkommen, sind Marktbeteiligungen und Handelsfähigkeiten im Zuge von Wirtschaftsvereinbarungen längst zu Waffen geworden, die viel wirksamer sind als der körperliche Angriff auf Besitz, Leib und Leben. Heute wird Krieg geführt mit Kapital, mit Medienmacht, mit Zugangsverweigerung und Sanktionen, mit Zöllen und Steuern. Der medienwirksame Krieg heute ist zwar immer noch der militärische Angriff auf Leib und Leben, aber der wirksame Krieg findet längst auf ganz anderen Ebenen statt.
Beginnen wir mit dem Begriff der Blockbildung. Nur die ganz großen Spieler im Staatenwettkampf können Blöcke bilden. Im Kalten Krieg hatten wir zwei Blöcke, den Ostblock und den Westen. Der Ostblock ist Geschichte, der in den letzten vierzig Jahren keine Rolle spielte. Es gab eigentlich nur noch einen Block, und der bestand aus den USA und Europa. Und dieser Block war stabil und nahezu konkurrenzlos. Das hat sich geändert. Heute gibt es wieder große Blöcke, dreieinhalb an der Zahl, die um ihre Bedeutung kämpfen. Und innerhalb der Blöcke sind die Visionen einer Weltordnung sehr unterschiedlich. Da ist auf der einen Seite die Nato und ihre Mitglieder, die mit ihrer Führungsmacht USA eine Vormachtstellung in der Welt beanspruchen. Da gibt es Russland, das sich nicht weiter bevormunden lassen will und auf Augenhöhe zurückzukehren anstrebt. Und da ist China, das eine ganz andere Strategie verfolgt, die man kurz und knackig als eine Win-Win-Weltpolitik bezeichnen könnte. Und das Halbe in der Vorrede ist Europa mit seinen altbackenen Träumen, die alte Vorrangstellung wiedererlangen zu können. Da ist das Empire, das starke Deutschland und die große Nation. Ein verwegener und eher hoffnungsloser Traum, denn Europa ist rohstoffarm und teuer in den Arbeitsentgelten. Das ist keine gute Ausgangslage für ein zurück in die Vergangenheit. Und eine große Gruppe erfährt heute medial kaum Beachtung, und das sind die vielen kleinen Länder und Staaten, die sich zu keinem Block bekennen und sich irgendwie durchmogeln. Zu ihnen gehört die Hälfte der Weltbevölkerung.
Betrachten wir weiterhin die Ökologie, mit der heute jeder Staat konfrontiert ist. Wir leben auf einem begrenzten Planeten mit begrenzten Vorkommen von Bodenschätzen, die heute immer noch zu den Grundfesten jeder Wirtschaftstätigkeit zählen. Die bisher mächtigen Staaten (USA, Europa) haben durch ihren ungeheuren Verbrauch an Rohstoffen deren Verfügungsmasse stark schrumpfen lassen. Wenn sie ihren Verbrauch nicht reduzieren, wird es keinen Fortschritt geben können in den Entwicklungsländern. Es war einmal angedacht, das sich die entwickelten Länder auf Recycling und auf das Kreislaufwirtschaften konzentrieren müssen, um anderen Staaten eine Chance zur Entwicklung zu ermöglichen. Nur sie verfügen über die notwendige Technik dazu. Aber das hat nicht lange angedauert. Heute ist sowohl der Rohstoffverbrauch als auch die Umweltbelastung dieser Staaten höher als je zuvor. Und sie haben über ihre Marktmacht ihre bevorzugte Stellung nicht nur erhalten, sondern sogar ausgebaut. Knappe Rohstoffe einschließlich Nahrungsmittel und Pharmaprodukte steigen im Preis auf dem Weltmarkt und können daher nur von reichen Staaten erworben werden. Im Grunde hat sich nichts geändert. Es sind nur nicht mehr die militärische Macht und der Besitz der Produktionsstätten, sondern die finanzielle Marktmacht, die die Reichen reicher und die Armen ärmer macht. Es werden einfach nur andere Waffen dazu eingesetzt.
Kommen wir zu den aktuellen militärischen Auseinandersetzungen. Militärisch meint hier immer der Einsatz von Waffengewalt gegen Leib und Leben. Dazu zählen in meinen Augen Milizen, Banden und Terrororganisationen ebenso wie das offizielle Staats-Militär. Es gibt unzählige Krisenherde auf der Erde heute, auch wenn nur noch zwei davon offiziell und medial in Fokus stehen, Taiwan und Ukraine. Das im Jemen Tag für Tag Menschen sterben, in Afrika Milizen und Banden ihr Unwesen treiben, in Südamerika Maffia-Organisationen mehr Macht besitzen als gewählte Regierungen, interessiert im Großen und Ganzen nur noch die Betroffenen. Der Fokus liegt auf der Ukraine, wo gerade mit Staats-Militär aktiv gekämpft wird und Taiwan, das scheinbar als nächstes auf dem Kriegsplan steht. Worum geht es in diesen beiden Konflikten eigentlich genau? Glauben wir wirklich, das es in der Ukraine um das Lebensgefüge der Ukrainer gehe? Geht es wirklich darum, wer in winzigen Gebieten die Regierungsgewalt besitzt und bestimmen darf, welche Sprache dort gesprochen, welcher Weltordnung man dort angehören möchte? Und ein ähnliches Bild erscheint mit Taiwan. Oder geht es in beiden Fällen um etwas ganz anderes? Ich denke, es geht viel mehr darum, welche Waffen die großen Blöcke einsetzen können und um die Rechtfertigungen, die dazu notwendig sind, um vor der Weltöffentlichkeit bestehen zu können. Der Krieg in der Ukraine dient dazu, den Nato-Staaten die Vollmacht zu geben für wirtschaftliche Sanktionen gegen den aufstrebenden Gegenspieler Russland. Und ein Krieg um Taiwan würde weitere wirtschaftliche Sanktionen gegen China rechtfertigen. Und beide Konflikte zwingt zusätzlich viele kleinere Staaten dazu, Partei zu ergreifen. Wer möchte nicht gerne am Schluss zu den Siegern gehören und davon profitieren, was im Krieg erobert wurde. Dazu zählen Zugriff auf Rohstoffe, Land, Menschen, Handelswege und Nahrungsreserven. Stellt man sich vor, Russland würde wie erwünscht zerschlagen in mehrere kleine Teilstaaten, welche Möglichkeiten zur Ausbeutung würden den Nato-Staaten sich eröffnen. Nur, die Voraussage eines Siegers ist heute sehr schwierig geworden. Das zeigt auch die Tatsache, das sich bisher nur Blockstaaten an Sanktionen beteiligen, die anderen dagegen abzuwarten scheinen , zu wessen Gunsten die Weltbühne sich neigt. Die europäischen Staaten haben sich schon im Vorfeld entschieden, denn sie setzen auf einen Sieg der Nato über seine beiden großen Gegenspieler. Das konnte und kann nach wie vor nicht anders sein, denn mit den USA würden sie nicht nur ihren größten Handelspartner, sondern auch ihren nuklear gut bestückten Beschützer verlieren. Und die USA haben weltweit weitere, wirtschaftlich mächtige Freunde, zum Beispiel Australien, Japan und Korea. Daher auch die Vorgabe, das der Krieg in der Ukraine und der Konflikt um Taiwan nicht verloren werden darf. Sie haben auf ein einziges Pferd gesetzt, und wenn die Wette schiefgeht, ist alles verloren. Alles, das bedeutet Reputation, Ansehen und Marktmacht, ohne die eine Vormachtstellung, wenn auch nur hinter den USA in zweiter Reihe, nicht zu erhalten ist.
Welche Rolle spielen die Medien heute und darf das sinnvoll genannt werden?
Früher, das war die Zeit vor der Digitalisierung, gab es als Medien das Fernsehen, den Rundfunk und die Zeitung aus Papier, dazu gab es Bücher und Fachmagazine. Das ist heute anders. Wenn wir heute von Medien sprechen, kommt zu den bereits genannten das Telefon in Form von Smartphones sowie das allgegenwärtige Internet dazu. Nun sind diese neuen Innovationen nicht nur zusätzliche Informationsquellen, denn ihre Verwendung ist nicht wie bei Sendern und Zeitungen frei wählbar, sondern mit den Monopolen (Internet) und großen Marktanteilen eröffnen sich Möglichkeiten, die wie oben beschrieben ebenfalls Waffen werden können, zu Waffen der Manipulation großer Menschenmassen. Und diese Waffen werden eingesetzt, um Meinungshoheiten zu erreichen, den Produktabsatz zu steigern, Wahlstimmen zu ergattern und ebenfalls auch um Feindbilder zu erzeugen. Wir sehen das heute ganz stimmig in den Nachrichtenportalen. Keine Nachrichtensendung, keine Zeitung und kein Portal kommt heute ohne Geschichten über den Bösewicht der Neuzeit, Herrn Putin aus. Ein besonders schönes Beispiel habe ich in einem meiner letzten Artikel beschrieben 1. Nun wird häufig argumentiert, das diese Medien ja jeder nutzen können und jeder die Freiheit habe, diese auch zu nutzen. Jein, denn das stimmt leider so nicht mehr. Selbstverständlich kann ich auf meinem Blog schreiben, was ich möchte. Das tue ich ja auch ausgiebig. Aber leider sind nicht alle Schreiber mit ihrer Schreibkunst als Hobby unterwegs. Erstens muss jedes Portal und jede Seite sich auch finanzieren lassen. Das geschieht meist durch Werbeeinnahmen und Spenden, zu denen man aber nur kommt, wenn dem Leser oder den Werbeträgern das Geschreibsel gefällt. Dann ist auch im Netz, was der Name schon anzeigt, die Vernetzungsfähigkeit für die Reichweite notwendig, und die bekommt nur der, der schreibt, was gefällt. Die Großen der Branche, die Nachrichtenportale der Zeitungen, der Magazine und Fernsehsender, werden von Redaktionen geleitet. Diese bestimmen Richtung und Aussage ihrer Artikel. Missliebige Ansichten, Ansichten, die kein Mehrheitsinteresse wiederspiegeln oder gar die gerade gefragten Regierungsparteien kritisieren, sind wenig hilfreich, das Medium in den Auswahlen der großen Verdichter (Google-News zum Beispiel) zu halten. Sie werden daher erst gar nicht veröffentlicht oder auf Seiten verschoben, die für die Robot-Suche nicht interessant sind.
Spannend sind auch die neugegründeten Fake-News-Agenturen, nach denen sich Qualitätsmedien ausrichten. Eine Minderheiten-Meinung hat dort so gut wie keine Chance. So wird immer wieder auf die Quellenprüfung hingewiesen, die man im Auge haben solle 2. Nun, ich habe zum Beispiel keine echte Redaktion und beziehe meine Informationen nur aus anderen Medienquellen. Auch Interviews werden mir in der Regel nicht gewährt. Ob die Meldung in sich stimmig ist, kommt bei mir nicht zur Frage, denn ich vertrete eine Meinung. Bei der Frage nach Details kann ich nur auf andere Quellen verweisen und ich habe weder professionelle Rechercheure noch verfüge ich über Fotografen und Reporter, die vor Versammlungsräumen der Politiker herumlungern, um Bilder und Einschätzungen zu liefern.
Etwas ganz Neues aber ist in diesem Jahr erstmals geschehen, denn die Politik, genau genommen die Exekutive, verbietet genehmigten Fernsehsendern und Portalen die Verbreitung ihrer Arbeiten, weil diese im Besitz des Feindes sich befinden, jenem Herrn Putin also, der oben bereits genannt wurde. Andere Akteure der alternativen Medien werden Medien weit als Verschwörer, Verschwörungstheoretiker und Fake-News-Erfinder gebrandmarkt und verleumdet. Dabei kommt es vor, das diese Menschen sowohl beruflich als auch in ihrer Privatsphäre Schaden erleiden. Der oft bemühte Shitstorm ist da nur die kleinere Variante. Wie das genau mit unserer Gesetzesvorgabe der Meinungsfreiheit vereinbar ist, erschließt sich mir nicht. Betrachte ich die Wirklichkeit eingehend und ohne Vorbehalt, ist es Meinungsfreiheit in unserer Zeit weder gewünscht noch willkommen. Das finde ich äußerst schädlich. So kann ich zum Beispiel nur jedem raten, sich die Reden und Aussagen des großen Bösewichts unserer Zeit einmal in der Übersetzung nachzulesen. Es gibt sie. Man muss nur etwas suchen, bis man sie findet. Sie werden überrascht sein, wie verfremdet diese in unseren Qualitätsmedien dargestellt werden. Gleiches gilt für viele andere Menschen und Aktivisten, gilt für Historiker und andere kritische Stimmen, über die berichtet wird.
Zeitkritik ist die Arbeit, sich und Anderen Fragen zu stellen. Einige Beispiele seien genannt:
Sind die neuen Innovationen sinnvoll, notwendig oder doch nur schädlich? Sind vorgefundene Meinungsbilder entstanden oder wurden sie erzeugt durch einseitige Berichterstattung? Ist ein Krieg wirklich notwendig oder gäbe es Verhandlungsmöglichkeiten? Wie viel von meinem Wissen ist Meinung, wie viel beruht auf Fakten, wie viel davon bedient sich der Spekulation? Wem nutzt ein Krieg? Wer profitiert von einer Sabotage? Ist die neue Krankheit wirklich so gefährlich wie vermutet? Helfen manche Maßnahmen wirklich, oder sind sie nur zum Schein ergriffen worden?
Es geht bei Zeitkritik nicht darum, eine Institution zu vertreten, eine Weltsicht einer anderen vorzuziehen, ein Dogma zu verteidigen oder ein Wertebündel zu stärken. Es geht bei Zeitkritik um Nützlichkeit, Wahrheitsgehalt und Mitgefühl, es geht um Vertrauen und Freiheit, es geht um Menschenliebe im weitesten Sinn. Das alles ist für mich Zeitkritik, denn wir wollen unsere Fehler doch nicht so lange wiederholen, bis wir mit dem Rücken an einer Wand und den Zehen über dem Abgrund stehen. Zeitkritik will Lernen ermöglichen. Das ist die Aufgabe.
- https://sperzelhp.net/wenn-philosophie-bereits-im-ansatz-scheitert/ ↩
- Ein Beispiel für Fragen dazu aus dem Focus: Quellenprüfung Checkliste: Handelt es sich um eine echte Redaktion? Welche anderen Meldungen werden von der Quelle veröffentlicht? Legt die Quelle die eigenen Informationen offen? Kann ich den Gang der Informationen zweifelsfrei nachvollziehen? Ist ein Impressum vorhanden? Welches Interesse verfolgt der Informationsgeber? Gibt es eine zweite, (ebenfalls) unabhängige Informationsquelle? Ist die Meldung in sich stimmig und vorstellbar? Stimmen die Details mit der Wirklichkeit überein? Gibt es möglichst mehrere Fotos, Videos, Interviews zur Meldung? ↩