In den nachfolgenden Aufzählungen sind Fragen und Anmerkungen aufgelistet, mit denen ihr Redakteur die Politikerin der Oppositionspartei „Die Linke“ in einem Gespräch behelligt hat. Dass das hier in Listenform geschehen musste, liegt an der Anzahl der Auffälligkeiten, die in einem Text einfach nicht mehr zu bewältigen war:
Frage: … Planen Sie einen Rückzug ins Private?
Frage: …Syriza-Regierung, die Sie so verehren.
Frage: …Chefposten vorstellen, wenn Ihnen der ganze Laden folgt?
Frage: Macht es Ihnen auch Spaß, die SPD zu quälen?
Frage: Sie haben im Jahr 1992 einen interessanten Artikel verfasst…
Frage: …Spitzensteuersatz, von dem Sie träumen…
Frage: Sie selbst fahren gerne Ski in Zermatt?
Auffällig in allen Fragen ist die Abfälligkeit des Stils, die – so meine Schlussfolgerung – nur dann Sinn macht, wenn die angenommene Meinung des Gesprächspartners schon vorab in der Frage ins Lächerliche gezogen werden soll:
Die Frage an eine Politikerin, die bald den Fraktionsvorsitz übernehmen will und auch könnte, nach einem Rückzug ins Private drückt wohl mehr eine Wunschvorstellung des Redakteurs aus als ernstgemeinten Journalismus.
Auch muss die Unterstützung einer ausländischen Schwesterpartei nicht unbedingt „Verehrung“ genannt werde. Verehrt etwa Frau Merkel die Republikaner in den USA oder in Frankreich, nur weil diese ihr politisch nahestehen? Und wer würde es wagen, den „Duktus“ mit solch einer Frage herauszufordern?
Eine in den Bundestag gewählte Partei, schon drittstärkste politische Kraft im Lande und Oppositionsführer, ist einfach kein „Laden“ mehr, sondern eine Institution. „Läden“ gibt es sicherlich noch als andere Parteien im aktuellen Fokus, ohne Namen nennen zu wollen.
Politiker streiten nun einmal. Und obwohl ich sie unhöflich finde, schreibe ich der Frage mit dem „SPD quälen“ doch einen gewissen Gehalt zu, den ich aber wahrscheinlich etwas anders interpretiere als der Fragesteller dies beabsichtigte: Eine politische Organisation kann sich nämlich nur dann gequält fühlen, wenn sie beim Wähler belügen, betrügen und verraten und/oder später bei sinnlosem Leugnen erwischt wird.
Und dann wird ein uralter Artikel aus dem Hut gezaubert – 23 Jahre alt und wahrscheinlich noch im jugendlichen Überschwang eines politischen Neulings geschrieben – um weiter zu diskreditieren und zu verleumden. Frau Wagenknecht hat ein relativ aktuelles und inhaltsschweres Buch geschrieben und kann in YouTube dutzendfach gehört werden. Warum also ein Rückgriff in diese allertiefste Mottenkiste?
Der Spitzensteuersatz, von dem hier angeblich nur „geträumt“ wird, wurde in Frankreich angestrebt, ist in den skandinavischen Ländern längst verwirklicht und nicht halb so unwahrscheinlich wie das Vorhandensein eines Politiksinns beim fragenden Redakteur. Sorry, aber anders kann ich diese schwachsinnige Formulierung nicht kommentieren.
Und dann die Frage nach Zermatt. Frau Wagenknecht nannte das noch freundlich „albern“, ich würde es „selig“ nennen und mal fragen wollen, inwieweit Realität in der Redaktion noch eine Rolle spielt. Eheleute, beide in Parlamenten seit vielen Jahren, können es sich durchaus leisten, in Zermatt Ski zu fahren. Wissen Spiegelredakteure eigentlich nicht, welche Diäten gezahlt werden in Deutschland? War da nicht mal ein Magazin, das sich zu früheren Zeiten gerne über Diäten und deren überzogene Anpassungen ausgelassen hat? Wie hieß das Blatt noch? Ich könnte da auf Google verweisen (Spiegel, Diäten, Bundestag).
Vielleicht sollte der Spiegel bei der Auswahl der Gesprächspartner mehr auf ein ausgeglichenes Niveau der Intellektualitäten achten. Und vielleicht wäre auch zu erwägen, dem Informationswunsch des Lesers mehr Gewicht beizumessen als dem Wunsch, den Eignern des Magazins nach dem Munde zu reden. Mich würde interessieren, wie sich die „Die Linke“ als Partei und ganz besonders „Frau Wagenknecht“ als Person konkret verhalten würde, wenn sie mitregieren können oder müssen. Wo gäbe es Gesprächsbereitschaft? Was geht grundsätzlich nicht? Wie sähe eine Außenpolitik von Frau Wagenknecht aus? Wie steht sie zu Sozialreformen? Wie steht sie zum Flüchtlingsproblem, wie zum Ukraine-Konflikt, wie zu Russland und den Sanktionen, wie zu USA und China? Wie zum Abhören durch die NSA, wie zu BND und Verfassungsschutz? Alles das sind aktuelle Themen! Würde sie mehr kleine Schritte gehen oder muss alles gleich ganz groß erfolgen? Wo ganz speziell würde sie ihren Fokus setzen? Da gäbe es so viele interessante Fragen… für viele interessierte Leser.
Und was fragt das politische Magazin? Wen bitte sehr interessiert die Ästhetik der DDR-Kleiderproduktion von vor 25 Jahren? Und wie spannend ist die Frage, ob Frau Wagenknecht noch Kleidung aus der alten Zeit im Schrank habe? Und wen außer einen Historiker vielleicht interessiert sich für die Ansichten von Erich Honecker?
Muss tatsächlich der Leser heute selbst die Arbeit der Redaktionen erledigen? Und wozu kaufe ich dann überhaupt ein politisches Magazin, wenn schon Google News und Wikipedia mehr Informationen liefern. Das Gespräch war dilettantisch geführt, miserabel vorbereitet und stand dem Metier Comedy näher als dem Journalismus.
Thomas Hüetlin mag sicher gute Sportberichte verfassen, kann Abenteurer interviewen oder Bücher über Sportvereine verfassen, um politische Schwergewichte zu befragen ist er mir eindeutig zu wenig neutral, viel zu flach im Politischen und zu sehr auf Mainstream gestimmt. Einer Sarah Wagenknecht wurde er jedenfalls ganz und gar nicht gerecht!
Spiegel-Gespräch (24/2015): zero points!
Hanspeter Sperzel, 08.06.2015