Leserbrief zu Spiegel-Magazin 12/2016; Artikel: Das Zerwürfnis

Liebe Spiegel-Redaktion!
Also bei allem Respekt, Verständnis und Toleranz zu anderen Meinungen: Die Behauptung des Soziologen Bude, dass das Auftreten der AfD auch nur im Geringsten mit dem Auftreten der Friedensbewegung und der Jugendproteste in der Zeit von 1968-80 zu vergleichen wäre, entbehrt jeder Grundlage und ist eine Beleidigung für eine ganze Generation. Das ist nicht nur ideologisch hinterhältig, sondern sowohl historisch, wie politisch und gesellschaftlich falsch.
Zitat: Die ideo­lo­gi­schen Wur­zeln der AfD rei­chen tie­fer, zu­rück in je­nes Jahr­zehnt des Wi­der­stands, in dem sich die ers­te au­ßer­par­la­men­ta­ri­sche Op­po­si­ti­on bil­de­te, de­ren par­la­men­ta­ri­scher Arm dann die Grü­nen wur­den. Ge­gen das Es­ta­blish­ment zu ste­hen, die Herr­schen­den, das Sys­tem, das ist die Bot­schaft, die aus ei­nem Ge­fühl erst Po­li­tik und dann Re­bel­li­on macht. „So un­ter­schied­lich ihre Wäh­ler sind, sie kön­nen sich alle dar­auf ver­stän­di­gen, dass in un­se­rem po­li­ti­schen Sys­tem et­was grund­sätz­lich falsch läuft“, sagt der So­zio­lo­ge Heinz Bude, der sich die neue Par­tei ge­nau an­ge­se­hen hat. „Die­se System Feindlichkeit, die frü­her vor al­lem der Lin­ken at­tes­tiert wur­de, ist heu­te für die AfD pro­gram­ma­tisch.“

Die Friedens- und Ökobewegung dieser Jahre entstand aus einem gesellschaftlich und politisch veralteten und verknöcherten System, das sowohl Andersdenkende als auch deren Lebenswege nicht nur ignorierte, sondern aktiv bekämpfte und dabei Mittel einsetzte, die sonst nur in Diktaturen aufzutreten pflegen. Ich denke da an die Einsätze mit Wasserwerfern, Knüppeln, Tränengas, Verhaftungen, Kessel und verletzten Demonstranten nicht nur durch unsere Polizei, sondern auch ausgehend von Sicherheitsmannschaften befreundeter Staaten (Iran). Gerade der Spiegel und sein Kampf gegen Verteidigungsminister Straus sollte davon sehr viel  wissen und sich auch erinnern.
In den Bewegungen ging es um viele Forderungen. Es sind so viele, dass sie nur in einer Aufzählung behandelt werden können; nur einige mögen genannt sein:

  • nach Beendigung des Vietnamkrieges
  • um die Gleichberechtigung der Frauen
  • den Versuch, den Einsatz von Kernkraft zu verhindern
  • gegen von der Industrie verursachte Umweltschäden beträchtlichen Ausmaßes
  • um freie Presse und Demonstrationsfreiheit
  • um die Erhaltung von Naturschutzgebieten
  • um den Rücktritt von aktiven NSDAP-Aktivisten aus Politik und Wirtschaft
  • um sexuelle Freiheit und Freizügigkeit

 

und viele andere Themen, die es heute gar nicht mehr so gibt, weil diese Ideen und die Vorstellungen mittlerweile weitgehend umgesetzt worden sind. Und gerade der Spiegel und seine Redaktion müssten sich daran erinnern, denn ihre Vorgänger waren ein wesentlicher Teil dieser Aufbegehrenden.
Schauen wir uns im Gegensatz dazu mal die Themen der AfD an:

 

  • Fremdenfeindlichkeit
  • Angst vor Unordnung und allem was irgendwie neu ist
  • Rechtsradikalismus
  • Hass auf die Presse, auf Politiker, auf Medien und Andersdenkende
  • Europa abschaffen
  • Die D-Mark wieder einführen

Viel mehr ist da, zumindest bis jetzt, aus meiner Sicht nicht zu finden. Von der AfD wurden bislang keine neuen Lösungen angeboten, keine Vorstellungen entwickelt, keine Alternativen aufgezeigt, die auch nur ansatzweise mit den Grundsätzen unserer Verfassung machbar wären. Es sind die ganz alten Lösungen, die schon früher nicht funktionierten und die eine ganze Generation gegen sich aufbrachten. Sie proklamieren sogar wider sinnigerweise ein System, das eine AfD- oder Pegida-ähnliche Bewegung, die in ihm entstehen würde, mit allen Mitteln des Staates bekämpfen müsste. Zu den strafrechtlichen Schritten, denen viele Mitglieder dieser Partei eigentlich ausgesetzt sein müssten, wenn unsere rechtslastige Ordnungsmacht sich nur mal aufraffen könnte, gegen Gesinnungsgenossen genauso vorzugehen wie gegen die politischen Gegner, einmal ganz zu schweigen.
In vielen Formulierungen und Ansätzen ist in dem Artikel sehr deutlich die Feder von Jan Fleischhauer zu finden. Seine Gewohnheit, sich aus tausend kleinen Puzzlestückchen (Bekleidung der Kanzlerin, überwiegend Jahrzehnte alte Details aus längst vergessenen Tagen, Jugendsünden) nur diskreditierendes herauszusuchen und zu einem Bild zusammenzufügen, ist schon keine üble Machenschaft mehr, sondern meiner Ansicht nach dem Begriff „Propaganda“ schon sehr nahe. Versucht da etwa ein Journalist mit Rufmordkampagnen Politik zu machen und wer mögen wohl die geförderten Figuren sein, die davon profitieren könnte: Seehofer vielleicht, oder doch Schäuble?

Zitat: Sie war eine ge­schie­de­ne Phy­si­ke­rin aus dem Os­ten, die vie­le Jah­re in ei­ner her­un­ter­ge­kom­me­nen Woh­nung im Ber­li­ner Stadt­teil Prenz­lau­er Berg ver­bracht hat­te und in wil­der Ehe mit ei­nem Che­mi­ker zu­sam­men­leb­te. An­fang der Neun­zi­ger­jah­re wirk­te sie mit ih­ren bo­den­lan­gen Rö­cken wie eine Prak­ti­kan­tin der Grü­nen, die sich beim Gang durch den Bon­ner Bun­des­tag in der Tür ge­irrt hat­te. Auch als sie erst­mals Kanz­ler­kan­di­da­tin der Uni­on wer­den woll­te, lie­ßen die Her­ren aus dem Wes­ten spü­ren, dass sie nicht zum Es­ta­blish­ment ge­hör­te. In der CSU hieß es, man dür­fe der „Zo­nen­wach­tel“ nicht das wich­tigs­te Amt der Re­pu­blik über­las­sen.

In einem Kommentar wäre das wohl nur eine schräge Meinungsäußerung. Was hat das noch mit Politik, Stand 2016, zu tun? Dass das aber in einem Artikel gedruckt werden durfte, diskreditiert die ganze Redaktion des „Spiegel“, weil Artikel nämlich überwiegend erst mal informieren sollten. Mit Journalismus aber hat das so nichts mehr zu tun. Einer BILD möge man das verzeihen, dem Spiegel aber sicher nicht! Er folgt so der SPD, die ihre Wähler hintergangen hat, und jetzt am Boden zerstört bei 15-20% herumdümpelt. Auch Leser gehen verloren, nur wählen die nicht, sondern die kündigen.

Hanspeter Sperzel (21.03.2016)

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