Ein Versuch zum Narrativ „Arbeit“

Sind all diese Veränderungen wirklich nur den höheren Lebenserwartungen der Bürger, also der Umkehrung der Alterspyramide, zu verdanken? Ist der Fachkräftemangel daran schuld, der wie ein Unwetter vom Himmel gefallen ist? Oder erzwingt der globale Markt all diese Veränderungen, so ähnlich wie Gott früher sitten-haftes Verhalten durch Gebote zu gewinnen suchte? Oder sind es die technischen Errungenschaften gar, die digitale Revolution, die das erzwingt? Mit Verlaub gesagt, all diese Erklärungsangebote, es sind ja doch nur Angebote, keine wirklichen Möglichkeiten, sind Bullshit. Nichts davon kann die Veränderungen nachdrücklich erklären, ja nicht einmal die Summe aller kann diese Veränderungen bewirkt haben. Wenn es eine Fachkräftemangel gibt, warum bilden die Unternehmen nicht mehr aus und übernehmen ihre Auszubildenden dann? Wenn Pensionskassen keine Renditen mehr abwerfen, warum werden sie dann noch beworben und angepriesen. Warum stärkt man nicht dafür die gesetzlichen Rentenkassen, die von der Zinspolitik unabhängig sind, anstatt sie immer mehr zu schwächen. Warum gibt man den arbeitenden Menschen nicht genug Lohn, damit sich ein Leben und eine Altersrente auch aufbauen lässt? Warum gibt es überhaupt Niedriglohn? Warum wandern Unternehmen immer mehr in die Länder ab mit ihren Produktionsanlagen, wo Arbeitskräfte billig sind? Warum sind unsere Schulen heute so schlecht, liegt das tatsächlich an der Qualifikation der Lehrer oder sind unsere jungen Menschen einfach…? Die angebotenen Erklärungen sind in sich nicht schlüssig, sie widersprechen sich, sind nur einzeln betrachtet von einer oberflächlichen Logik beseelt. In der Summe sind sie, ich schrieb es bereits, Bullshit.

Ich möchte jetzt im Weitergehen nicht nach Schuldigen suchen. Da gibt es jetzt mal keine gierigen Unternehmer, un-tote Politiker mit null Verantwortungsgefühl, die sich die Taschen nicht voll genug packen können und den großen Konzernen in den Allerwertesten… Und auch Entwicklungen übergeordneter Natur wie globale Notwendigkeiten oder neue Entwicklungen der Technik, wie Industrie 4.0, will ich dafür nicht an den Pranger stellen. Sondern die Frage ist doch eher: Wie kommen wir jetzt noch aus dem Dilemma heraus? Wie lässt sich der eingeschlagene Weg korrigieren, verbessern, und in die Zukunft führen? Das sind die Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, nein, mit denen ihr euch beschäftigen müsst, denn ich…? Ich habe mein Leben gelebt und meine Kämpfe sind geschlagen, ich habe mein Ziel, den  Ruhestand mit 64 Jahren, gesund erreicht und gedenke, ihn tatsächlich zu genießen. Ihr, damit meine ich die jungen Generationen, die Generation meiner Kinder und Enkel, die ihr Leben jetzt in die eigene Hand nehmen müssten. Für euch, und für eure Kinder und Enkel schreibe ich diesen Artikel. Und darin will ich noch nicht einmal die Maßnahmen auflisten, mit denen diese Lösung gelingen könnte. Sondern ich möchte euch hin weisen auf die Ursachen, die sich unmerklich und heimlich in unsere Narrativ-Sammlung (Das Narrativ Arbeitsleben ist ja nur eines von vielen anderen Erzählungen, an denen wir unser Leben ausrichten. Dazu später mehr auf diesem Blog.) eingeschlichen haben.

Wir denken überwiegend heute in Detail-orientierter Art und Weise, d.h. wir betrachten nicht mehr das Ganze als ein System, in dem Leben, Arbeit, Familie, Freizeit, Kultur, Wissenschaft, Technik in jeweiligen Erzählungen, Narrativen, nebeneinander und ineinander verzahnt existieren, sondern wir betrachten jedes mögliche Teilgebiet des Lebens als eine abgeschlossene, also in sich ruhende Struktur. Wir haben Unmengen an Spezialisten, die alle in ihrem kleinen Teilgebiet großartige Kenntnisse vorzuweisen haben, aber nur wenige davon sind in der Lager, über den kleinen Tellerrand ihres Fachgebietes hinauszuschauen. Das ist eine falsche Entwicklung, denn echtes Lebensgefühl entsteht nur aus der Summe aller Teilgebiete eines Lebens heraus.

Nehmen wir ein erstes Beispiel: Nahezu alle großen Firmen beklagen ein Demographie-Problem, d.h. die tragenden Säulen der Säulen der Mitarbeiter sind 50 und älter. Viele Firmen haben ihren Mitarbeiterstamm verkleinert, und dabei den bequemen Weg gewählt, älteren Mitarbeitern Angebote zu machen, vorzeitig in den Ruhestand zu wechseln, und stellten lange Zeit und aus dem gleichen Grund keine jungen Menschen mehr ein. Diese Angebote waren gut und wurden fleißig genutzt. Aber, das belastet erstens die Renten- und Pensionskassen, das veraltet zweitens die Mitarbeiterstruktur der Betriebe, das entlässt drittens die erfahrensten und innovativsten Mitarbeiter, und viertens kommen keine erfahrenen Mitarbeiter mehr nach, denn mit 20 kann man keine umfassende Erfahrung haben und mit 50 ist man mittlerweile schon zu alt, um Neues zu lernen. So zumindest geht das Firmen-Narrativ, und das ist, ich sage das mal vorsichtig, viel zu kurz und nicht annähernd systemübergreifend gedacht.
Ein weiteres Beispiel für zu kurz gedacht ist in dem Thema Diversifizierung vs. Spezialisierung zu sehen, das gegen Ende des letzten Jahrtausends viele große Unternehmen in unzählige kleinere Einheiten ausgesplittert hat. Das Problem, das dabei nicht bedacht wurde, ist in der damit steigenden Übernahmegefahr von kleinen AGs durch Konkurrenten zu sehen. Bestes Beispiel dafür ist ein großer Konzern in Frankfurt, dessen größte Sparte durch einen viel kleineren Konkurrenten aus Frankreich geschluckt werden konnte. Das Ergebnis war und ist für die Mitarbeiter eine Katastrophe. Weiterhin ist ein hoch spezialisierter Marktteilnehmer bei  Markteinbrüchen nicht mehr in der Lage, ein Tief in einer Sparte durch Gewinne aus anderen Bereichen auszugleichen. Der Effekt dabei: Mitarbeiter werden gefeuert, gute Fachkräfte gehen für immer verloren, können nicht wiederbeschafft werden und das Vertrauen der Kunden sinkt durch die sinkende Qualität und Attraktivität der Arbeiten oder Produkte. Ein hoffnungsloses Dilemma entsteht. Das Narrativ der Wirtschaft geht ab von Diversifizierungen. Das ist langfristig bedacht ein großes Risiko, und in meinen Augen eine vollkommene Fehldiagnose, was Zukunftsfähigkeit angeht.
Dann müssen wir über Ausbildung und Schulausbildung sprechen. Wie um alles in der Welt konnte man zu der Überzeugung kommen, das Ausbildungen immer kürzer, immer spezialisierter und mit immer mehr Druck zu hochgebildeten jungen Menschen führen würde, die vollkommen neue Innovationen schaffen werden. Wenn Studenten nur noch ihren nächsten Schein, wenn Schüler nur noch die ausreichende Note zur Versetzung oder zum höheren Bildungsweg im Sinne haben, wenn junge Menschen ohne Erfahrung derart früh in Konkurrenzdruck gepresst werden und in jedem Mitschüler fast nur noch einen Widersacher sehen dürfen, muss man sich nicht wundern, was da am Ende herauskommt. Wir werden immer älter, aber die Jüngsten unter uns haben nicht einmal annähernd genug Zeit, sich so etwas wie Bildung, Vertrauen oder soziales Verhalten anzueignen. Leistung , Leistung und nochmals Leistung, kürzer, schneller, höher, weiter, und wer dabei noch keinen Knacks davon trägt, der wird spätestens im autoritär organisiertem Arbeitsumfeld gebrochen, denn hier geht es um den Anschlussvertrag, den beruflichen Aufstieg, oftmals auch erst mal sogar nur um den Einstieg, um dann, ohne je sozialisiert worden zu sein, auf der Stufe der Überforderung bezüglich der Führung von Mitarbeitern hängenzubleiben. Wenn das überspitzt gesagt heute unter Bildung verstanden wird, dann gute Nacht, Freunde.

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