Immer wieder erfahre ich aus den Medien, das Angst und mangelnde Selbstreflexion die entscheidenden Merkmal seien, die unsere heutige, äußerst fragile und instabile Gesellschaft auszeichnen würden. Die Erläuterungen dazu sind umfangreich, zeigen sich wissenschaftlich fundiert und statistisch belegt und kommen nahezu makellos daher. Trotzdem scheint die Resonanz innerhalb der Bevölkerung auf diese Erklärungen sehr gering auszufallen, was zu der Frage ermuntert, ob diese Theorien entweder auf einem viel zu hohen Niveau sich aufhalten oder ob diese bei individueller Betrachtung stets die Antwort hinterlassen, das ja gerade ich als Leser von der Thematik nicht betroffen sei und das es ja nur die anderen sind, die diesen Mangel erleiden.
Ich sehe den Grund der schlechten Resonanz allerdings in einem ganz anderen Licht. Ich betrachte diese gestrickten Theorien als eine gut gestylte Ausrede, die Lesern in Wiederholungen immer wieder vermittelt und sich mittlerweile dem Standardrepertoire unserer Kultur als zugehörig erfahren wird. Vielmehr sehe ich die wesentlichen Gefahren unserer Gesellschaft darin, das sich andere Mängel in unterschiedlicher Weise in die durchaus vorhandenen Schichten der Gesellschaft eingenistet haben. Drei davon sind in der Überschrift bereits benannt. So sind Anspruchsdenken und Narzissmus sicher nicht oft in den prekären Gesellschaftsschichten anzutreffen 1, sondern sind gesellschaftlich wirksam eher im gehobenen Mittelstand und in der Elite zu Hause. Der Narzissmus im Besonderen zeichnet sich dadurch aus, das er in der Karriere-abhängigen Arbeitswelt des gehobenen Standes (Politik, Wirtschaft, Freiberuflichkeit) für ein besonders gute Ausgangsposition sorgt und daher dort besonders häufig anzutreffen ist. Der Narzissmus, das heißt „ich zuerst“, das heißt „nur ich kann überhaupt recht haben“ und/oder „nach mir die Sintflut“ sind in den oberen Führungsetagen weit verbreitet. Heute werden fast alle Staaten der westlichen Welt von Narzissten regiert. Und diese scharen weitere Vertreter ihrer Selbstsucht um sich. Schaut man neben D in die USA, nach GB oder nach F, und ordnet das Gesehene in die Definitionen ein, die zum Beispiel Wikipedia liefert, wird schnell klar, was ich damit meine.
Befassen wir uns daher erst einmal mit diesem besonderen Ausdruck dieser Persönlichkeitsprägung. Wikipedia meint dazu:
Der Ausdruck Narzissmus steht alltagspsychologisch und umgangssprachlich im weitesten Sinne für die Selbstverliebtheit und Selbstbewunderung eines Menschen, der sich für wichtiger und wertvoller einschätzt, als urteilende Beobachter ihn charakterisieren.
Die Diagnose „Narzissmus“ und das Prädikat „narzisstisch“ dienen im allgemeinen Sprachgebrauch der kritisch-polemischen Kennzeichnung einer Person, die sich den Ansprüchen der Gemeinschaft auf spezifische Weise zugunsten eines überhöhten Ich-Anspruchs entzieht. Tatsächlich markiert der Vorwurf des „Narzissmus“ einen Konflikt zwischen der Einschätzung von außen und der Selbsteinschätzung des Narzissten, dessen Bewusstsein sich genau in dem Maße narzisstisch verhält, wie es sich gegen solche (äußere) Kritik immunisiert. Typisch „narzisstisch“ scheint zu sein, den eigenen Narzissmus zu bejahen, wie neuere Untersuchungen nahelegen.
Im Sinn einer Einschätzung von außen allerdings geht die Diagnose des „Narzissmus“ mit dem Vorwurf einer stark aufgeblähten, unrealistisch positiven Selbsteinschätzung, mit Selbstzentriertheit, Berechtigungsdenken und mangelnder Rücksichtnahme auf andere Personen einher. Auf ihre Umgebung mögen Narzissten unter Umständen destruktive Einflüsse ausüben. Narzissten sind jedoch, wie die jüngere Forschung aufgewiesen hat, emotional stabil, mit sich selbst und ihrem Leben zufrieden und an ihre Lebenssituation gut angepasst. Zwar sind sie mehr als andere Menschen auf Bewunderung angewiesen, verfügen jedoch über eine große Bandbreite von Verhaltensweisen und Wahrnehmungsmustern, um ihren Bedarf an Bewunderung zu decken und Kritik abzuwehren. Wikipedia (DE) 2
Soweit erst einmal die all-beliebte „freie Enzyklopädie“ auf dem vielgelesenen ersten Abschnitten, die sich mit den Sozialwissenschaften in einer populärwissenschaftlichen, psychopathologischen, empirischen und entwicklungstheoretischen Weise beschäftigen.