Türkei – Warum lernen wir nicht (mehr) aus den Misserfolgen unserer Vergangenheit?

Warum machen wir immer die gleichen Fehler und verwenden immer wieder die falschen Mittel? Und warum sehen wir nicht, dass es nicht damit getan ist, in oberflächlicher Sichtweise nur an der Verschönerung der Bilder und an deren Wohlgefallen herumzubasteln, statt in die Tiefe der Problematiken einzusteigen und dort Ursache und erste Wirkungen zu bekämpfen.
Der Staat Türkei ist bis auf den heutigen Tag, trotz umfangreicher Reformvorstöße und Anpassungen an europäische Standards eine patriarchalisch durchorganisierte Gesellschaft, wo bereits in der Familie, in  Großfamilien  und Gemeinden Vaterfiguren eine große Rolle spielen. Daher haben in Gesellschaften dieser Art auch Religionsvertreter, Parteiführer und besonders Generäle für europäische Vergleichsverhältnisse sehr viel Einfluss. Angewendet auf die Türkei der heutigen Prägung ergibt das ein sehr unübersichtliches Bild, wobei einzig der Staatspräsident eine stark hervorstechende Rolle spielt. Das dieser daher stark, durchsetzungswillig und oftmals auch rabiat sich seiner Macht bedienen können muss, ist eine logische Folge dieser Verhältnisse. Nun will ich die Methoden, denen sich der jetzige Staatspräsident dort bedient, nicht verharmlosen. Aber ich bin mir leider nicht sicher, ob dieser für sein Amt und das Amtsverständnis seiner Bürger, besonders seiner Wähler eine große Wahl besitzt. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre (sieben Militärputsche, drei davon erfolgreich), der allgegenwärtigen Korruption und undurchsichtiger Machtspiele verschiedener Gruppen und Parteienklüngel sollten wir beser zurücktreten und abwarten, welches Ergebnis der jetzige Präsident mit seiner Politik erreichen wird. Wichtig für mich wäre auf jeden Fall, dass die Türkei nicht den Weg Syriens, Libyens, des Irak oder Ägyptens folgt, in denen entweder Militärs die Macht übernommen haben oder in denen ein so großes Machtvakuum entstanden ist, dass  Bürgerkriege zwischen rivalisierenden Gruppen, Parteien und Stämmen aufgeflammt sind und Blut in Strömen fließt.

Selbstverständlich wünsche ich den türkischen Freunden Wohlstand, Freiheit und Demokratie, ein ruhiges geordnetes Leben, aber ich bezweifele zunehmend die Möglichkeiten, dieses in dem Land nach europäischem Vorbild auch zu installieren und langfristig zu erhalten. Dazu scheinen Militärs, Religionsführer und seinen wir ganz ehrlich, auch große Teile des Volkes noch nicht bereit. Ethnische Probleme müssten gelöst, Religionen befriedet, Meinungsfreiheit installiert und praktiziert werden, um auch nur annähernd in dieser Richtung voranzukommen. Wir haben es doch in Jugoslawien gesehen, in dem Tito die starke befriedende Hand war, wir sahen es in Libyen, in dem Gaddafi die Stämme und seine Führer in Schach hielt, und wir sehen selbiges in vielen Ländern dieser Welt. Was haben unsere Interventionen und Vorstellungen von Demokratie denn gebracht im Irak, im Iran, in Ägypten. Wie sieht es aus in Saudi Arabien, in den Emiraten, im Jemen und in den palästinensischen Gebieten? Dabei sind Somalia, Afghanistan und viele weitere Krisenherde in Afrika noch gar nicht erwähnt, in denen Krieg, Hunger, Dürre gemeinsam mit  genau dem politischem Chaos herrschen, das unsere Interventionen dort angerichtet haben.

Exkurs Somalia: Das Land, hervorgegangen aus britischen und italienischen Kolonien, hat niemals Frieden gefunden. Neben diesen beiden tragen die Sowjetunion und die USA  maßgeblich Verantwortung für die heutigen Zustände dort, die Hunger, Tod und Elend in unvorstellbaren Ausmaßen produziert haben.
Exkurs Iran: Hier trägt die USA die Hauptverantwortung für die heutige Konfiguration eines Gottesstaates. Das dieser trotz militärischer Angriffe seiner Nachbarn, trotz Handelssanktionen durch den Westen den Frieden in der Region erhalten konnte und einen zwar bescheiden, aber doch  spürbaren Wohlstand seiner Bürger geschaffen hat, nehmen wir zwar meinungslos zur Kenntnis, lassen dieses aber in unsere politischen Argumentationen nicht einfließen. Für die USA und Europa ist Iran ein Terrorstaat. Das hat er aber so nicht verdient.

Wir sollten in dieser Region der Welt daher dämpfend wirken und weder spaltend noch parteiergreifend argumentieren. Und wir sollten von unserem Verständnis von Staatsführung Abstand nehmen, weil solcherlei dort (noch) nicht funktionieren kann. Eine Übernahme der Macht durch Militärs aber lehne ich auf jeden Fall ab. Egal wo auf der Welt, Militärs haben niemals einer Gesellschaft Frieden gebracht, Totenstille wäre eher ein Wort, das zutreffend erscheint. Und die türkische Regierung ist eine demokratisch vom Volk gewählte, ist also in unserem Verständnis legitim. Sie stürzen zu wollen ist undemokratisch.

Zu viel an den Geschehnissen in der Türkei ist unklar. Verdächtig auf jeden Fall ist, das die Regierung und ihre Anhänger so stark von diesem Putschversuch profitieren, verdächtig ist, wie glatt und gradlinig er abgewehrt werden konnte und wie schnell und sicher Drahtzieher, Unterstützer und Gefolgsleute ermittelt und ausgeschaltet werden und werden konnten. All das aber sind Spekulationen. Festzuhalten ist auf jeden Fall, das ein Beitritt der Türkei zur EU unter diesen politischen Bedingungen nicht sein kann, und auch die vereinbarte Visafreiheit steht jetzt sicherlich auf dem Prüfstand. Zu den schwierigen Ländern des Nahen Ostens wird sich jetzt wohl auch noch das Nato-Mitglied Türkei gesellen. Schade eigentlich.

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