In der politischen Diskussion dreht sich im Moment alles um die Frage, wie die Wähler davon überzeugt werden können, nicht rechts-populistisch zu wählen. Bereits im Ansatz ist diese Fragestellung falsch, denn es liegt nicht an den Wählern, dass hier etwas falsch läuft. Wenn der Wähler eine Umorientierung der politischen Richtung für notwendig hält und entsprechend wählen möchte, gibt es doch zu den nicht-etablierten Parteien zurzeit gar keine Alternative. Das ist traurig, aber ohne Einsicht wohl auch nicht zu ändern. Zu ähnlich sind die bereits etablierten Parteien in ihren Zielsetzungen, zu oft wurden deren Wahlversprechen gebrochen, zu selten konnte man sich auf die gewählten Köpfe verlassen und zu offensichtlich ist der Eindruck, dass hier nur noch im Interesse der Großindustrie regiert wird.
Die SPD als bestes Beispiel ist die Partei der Arbeitnehmerschaft und der Gewerkschaften? Das ist lange vorbei. Spätestens seit der Agenda 2010 hat unsere Sozialdemokratie die christlichen Parteien fast recht überholt. Das erkennt man auch gleich in der Tatsache, dass seit nunmehr drei Jahren die neuerdings angestrebte Rot-Rot-Grüne Koalition möglich wäre, da sie zusammen jetzt schon eine 5-Stimmenmehrheit im Bundestag besitzen. Die SPD-ler können also nicht behaupten, die aktuelle politische Ausrichtung nicht verändern zu können, weil die christlichen Parteien dieses nicht zulassen und keine Mehrheiten zu Verfügung stünden. Sie wollen nicht. Das ist keine Politik, das ist merkeln in reinster Form. Und ich fürchte, daran wird auch ein Schulz nichts ändern. So richtig links war die SPD ja sowieso nie in ihrer Geschichte.
Der größte und beste Schutz vor Populismus wäre eine Rückbesinnung aller Parteien auf ihre ursprünglichen Identifikationsinhalte. Die SPD zum Beispiel ist die Partei der Arbeitnehmerschaft, der kleinen Leute sozusagen. Wenn sie diese Klientel wirklich vertreten würde, die Gewerkschaften wieder mitnähmen, statt Gesetze gegen sie zu machen, würden die Leute sie guten Gewissens auch wieder wählen, würden die Gewerkschaften sie auch wieder tatkräftig unterstützen. Ein ähnliches Defizit besteht bei den Grünen. War das nicht mal die Partei, die für Umweltschutz und Friedenspolitik eintrat, die Verbraucherschutz ganz oben auf der Agenda hatte und die eine Alternative zum „je mehr desto besser“ bieten wollte. Heute ist davon nichts mehr zu sehen, sie schicken wie die anderen auch Soldaten in Kriege, unterstützen die anderen großen Parteien bei ihren industriefreundlichen Absichten. Ihre Leitfiguren könnten auch CDU-ler sein ohne groß aufzufallen. Nicht sonderbar ist, dass die CDU/CSU nach wie vor ihre alte Klientel vertritt. Aber sie hat ihren Alleinvertretungsanspruch verloren, die Partei der Unternehmer und der Industrie zu sein und Konkurrenz bekommen aus dem sogenannten linken Lager. Die sogenannten linken Parteien sind nach rechts gerutscht und vergrämen so in schöner Gemeinsamkeit zwar ihre Stammwähler, bilden aber eine Alternative zum Bürgertum der CDU. Das ist das Problem. Und selbst die Linke erweist sich, erst mal in Regierungsverantwortung, als zahmer Tiger. Die Auflösung der Misere wäre einfach, wenn alle wieder auf ihre Ausgangsposition zurückfielen: „Zurück zu Start, gehe nicht über Los, ziehe keine Tantiemen aus der Industrie ein“. Keine etablierte Partei hat zurzeit genügend Identifikationspotential, um einen einfachen Wähler dauerhaft zu binden. Ohne einen umfangreichen Wechsel an den Spitzen wird das sich wohl auch nicht ändern.
Ein weiteres Manko unserer politischen Klasse ist doch wohl die zunehmende Unfähigkeit, die sich ganz offensichtlich in Ministerien und Bürgermeisterämtern breit macht. Vielleicht wäre es doch einmal sinnvoll zu fragen, ob Minister sich nicht doch mehr mit der Summe ihrer Zuständigkeiten befassen sollten und zumindest etwas Expertise zu ihrem Amt aufbauen, oder ob sie sich weiter in und mit Wunschvorstellungen (Maut), mit Industrieabsicherung (VW und Abgase), mit den miserablen Produkten der Militärindustrie oder der Exportförderung (Entwicklungshilfe) zu blamieren. Und vielleicht sollte es auch möglich sein, Gesetze mal so zu schreiben, das unsere Gerichte nicht ständig eingreifen müssen, weil Grundgesetzvorgaben nicht beachtet oder europäische Normen (Vorratsdatenspeicherung) nicht erfüllt wurden.
Und wie ist das in demokratischen politischen Parteien? Bestimmen da generell eine Handvoll Funktionäre über Posten und Ämter, über Kandidaten und Präsidenten, über Minister und Sekretäre, oder sollte nicht zumindest hier ein demokratisch legitimiertes Verfahren die Auswahl der Spitzenvertreter vornehmen? Sind Wahlen mit nur einem Kandidaten eigentlich noch demokratisch zu nennen, oder herrscht hier nicht doch in offensichtlicher Weise bereits eine neue Aristokratie, deren neue Mitglieder immer nur passend zum verbleibenden Kern ausgewählt werden?
Die Zeit hat in der letzten Woche ein Verfahren zur Sprache gebracht, dass das demokratische Verfahren wieder beleben soll: Das Losverfahren. Soweit sind wir also schon: Zurück zu den griechisch-römischen Wurzeln? Ich würde eher dazu raten, unsere Parteien zu reformieren und hier demokratische Grundsätze zu pflegen. Und ich würde dazu raten, wieder Fachleute an die Spitze von Ministerien zu setzen, wegen mir auch beamtet und mit lebenslanger Pension. Die Aufgabe dort ist es nur, Entscheidungen des Parlaments umzusetzen, und nicht aktuelle politische Richtungsentscheidungen zu erzwingen, indem man Regierungspartner besticht oder erpresst. Vielleicht ließen sich so Doprints, Nahles und Co in den Ministerien und Seehofer als nicht gewählter Nebenkanzler verhindern. Und noch ein letztes Wort zur SPD, die meine Stimme wohl niemals mehr bekommen kann: Schulz ist zwar ein Anfang, aber nur ein neues Gesicht mit dem gleichen Programm wie seine Vorgänger, ist neuer Wein in alten Schläuchen. Es geht immer nur um den Inhalt des Pakets, niemals um den Postboten!