Je intensiver ich die Nachrichten des Tages verfolge, dazu gehört viel Zeit einerseits und Zugang und Kenntnis über die entsprechenden Medienendgeräte andererseits, desto intensiver stellt sich mir die Frage nach der Funktionalität unseres politischen Systems.
Denn einerseits haben wir eine repräsentative Demokratie, in der wir die Verantwortung über Entscheidungen an eine Gruppe von gewählten Menschen delegiert haben, andererseits aber sorgen wir in diesem System dafür, das genau diese Menschen ihren Job nicht vernünftig handhaben können, da wir sie einer sinnfreien Transparenzvorstellung unterwerfen und sie sozusagen einer geifernden Medienlandschaft zum Fraß ausliefern.
Selbstverständlich ist Transparenz notwendig, aber doch bitte nicht so. Wenn in Gremien um Entscheidungen und Setzungen gerungen wird, wenn dabei unterschiedliche Ansichten und Weltbilder aufeinander treffen und entweder nach einem Konsens oder nach einem Kompromiss gesucht werden muss, müssen die Bedingungen dafür auch gegeben sein. In aller Regel, und das sieht man sehr schön in der freien Wirtschaft, wird darüber hinter verschlossenen Türen verhandelt. Wenn dabei im Vorfeld schon Setzungen und Festlegungen getroffen und verkündet werden, sind Konsens und Kompromiss so große Steine in den Weg gelegt, das eine sinnvolle Auseinandersetzung mit einem Thema gar nicht mehr möglich erscheint. Das sieht man an den vielen Beispielen sehr deutlich, in denen von Seite der Öffentlichkeit Wahlversprechen eingefordert werden, die dann in Verhandlungen gar nicht einlösbar sind. Der Niedergang der SPD beruht auf diesem Prinzip, der Niedergang der CDU steht nach diesem Prinzip bevor, die FDP hat das Gröbste des Niedergangs-Szenarios bereits lange hinter sich und nur die Grünen als Spartenpartei und die Randgruppenparteien profitieren. Und ja, auch die Linken zählen zu diesen Randgruppenparteien, solange Leitmedien und Mainstream diese Partei weiterhin grundsätzlich ablehnen.
Was wir deutlich sehen und uns anschauen müssen, ist die Tatsache, das Versprechen im Wahlkampf und in der Öffentlichkeit und die politische Realität für gewählte Politiker sich genau so verhalten wie die Produkte des Marktes und die Aussagen der zugehörigen Werbung. Hier wird übertrieben, gelogen und schön geredet, was das Papier und die Festplatte nur so hergibt. Das war eigentlich schon immer so, nur wurde das jetzt durch die Medienvielfalt eindeutiger sichtbar. Und eine Lösung dieser Misere sehe ich auf der Basis unseres Systems heute eigentlich nicht. Warum ist das so?
Bisher, sagen wir mal bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts, ging es den meisten Menschen in unserem Land, Deutschland, relativ gut. Sie kamen zurecht und konnten teilhaben an den vielfältigen Motiven, die eine Gesellschaft tragen. Mit Einführung des Niedriglohnsektors, mit den Kürzungen und der Versteuerung der Renten und den Deregulierungen in diversen Märkten (Vermietung, Immobilien, Finanzsektor, Investmentsektor, …) aber hat sich eine sehr große Bevölkerungsgruppe gebildet, die die Teilhabe nahezu unwiderruflich verloren haben. Diese Leute sind nicht mehr zufrieden, und sie wählen und favorisieren für sich Vertreter, die ebenfalls nicht zufrieden mit dem System sind oder dies zumindest behaupten. Wir nennen das heute gerne Populisten, aber Populist zu sein ist nicht nur eine Eigenschaft einer vom Mainstream gebrandmarkten Gruppe, sondern ist ein Merkmal von Politik und Marktverhalten allgemein. Wer verkaufen und wiedergewählt werden will, muss Populist sein, muss den Menschen nach dem Mund reden. Wir wissen das alle, nur berücksichtigen wir das auch?
Nun werden zur Zeit einige Vorkommnisse des politischen Tagesgeschäfts, eine angeblich neu aufbrandende Terroraktivität und hohe gesundheitliche Risiken wie große Katastrophen vermarktet und in Szene gesetzt. Sogar die hochgelobten Märkte sollen gerade jetzt mit Panik darauf reagieren. Doch seinen wir einmal ganz ehrlich, sind diese relativ kleinen Motive tatsächlich in der Lage, ein System wie das unsere so zu gefährden? Im Landtag Thüringens hat für ein oder zwei Tage ein politischen Kabarett stattgefunden. Dann wurde bemerkt, was geschehen war und es wurde korrigiert. Na und? So etwas geschieht in Parlamenten eigentlich jeden Tag. Und ganz neu scheint wohl der rechts angesiedelte Terror zu sein. Ist das so? Neun Morde des NSU, brennende Flüchtlingsheime, der Münchener Anschlag, die unzähligen Übergriffe auf fremd aussehende Mitbürger in unserem Land sind seit Jahren zu registrieren. Hunderte als radikal eingestufte Mitbürger dienen vollkommen offen und für alle sichtbar in Polizei, Justiz und Geheimdiensten, Hass und Gewalt wird im Netz gepostet und vertrieben/beworben und die Hinterziehung von Steuern und die Bilanztricks, die dafür verwendet werden, sind doch allgemeines Wissensgut. Stört uns das erst jetzt? Und das wir unsere Umwelt verpesten, vergiften und ausbeuten ist doch wohl ebenfalls seit vielen Jahren offensichtlich. Was also ist los in unserer Jetzt-Zeit? Und glaubt irgend jemand wirklich, das die Börsen auf ein paar Hundert Coronarviren-Erkrankte so heftig reagieren, wie gerade behauptet, wo doch Hunderttausende von Grippe-Toten die gleichen Börsen seit Jahren schon kalt lassen? Oder sind hier nur wieder mal die an der Quelle Sitzenden am Zuge, die auf eine schnelle Kasse aus sind?
Meiner Meinung nach wird durch die Hervorhebung und die damit angesprochene Öffentlichkeit mit solchen Randereignissen nur ein Spektakel veranstaltet, das die Probleme unserer politischen Kultur verdecken und eine Änderung derselben verhindern soll. Denn Veränderungen sind dringend erforderlich, sonst wird unsere politische Welt bald nur noch von Schreihälsen und Dummschwätzern gestaltet. Großbritannien und der Brexit und Trump in den USA lassen grüßen. Das kann nicht im Interesse der Allgemeinheit sein. Aber was müsste dazu geändert werden? Wo liegen Lösungen für ein Dilemma, in dem Auseinandersetzungen, Verhandlungen und Transparenzgebote nicht nebeneinander bestehen können? Zwei Lösungen liegen auf der Hand:
- Entweder wir lassen das mit der Transparenz, vertrauen unseren gewählten Vertretern und lassen sie einfach mal ihre Arbeit tun,
- oder wir stellen allen Mitbürgern wie in vergangenen Zeiten ausreichend Mittel zur Verfügung, um wieder teilhaben zu können, es sich wieder auf den Sofa gemütlich machen zu können.