Während ‚Teilhabe‘ ein Gewähren oder sogar ein gewährt bekommen beinhaltet, ist ‚teilnehmen‘ aktives Streiten um Verbesserungen. Teilnehmen kann man nicht von außen nur durch Protest und Aktion, sondern mehr durch Mitarbeit in und durch die Institutionen, die bereits vorhanden und etabliert sind oder neu geschaffen werden müssen.
In einem der letzten Beiträge habe ich die Empfehlung ausgesprochen, bei Änderungen von Gesetzen und Verordnungen immer zu fragen, wem die Reform nutzt oder genutzt und wem selbige schadet oder geschadet habe. Und diese Frage sollte vor der Einführung der Reform als auch mehrfach auch Jahre nach der Reform gestellt werden. Da Reformieren immer Neuland betreten bedeutet, sind diese Maßnahmen eigentlich als selbstverständlich zu betrachten. Warum unsere Politik, unsere Vertreter des Volkes dies nicht tun, ist mir unverständlich und ich missbillige das aufs Entschiedenste.
Das heißt in der Summe und im Klartext nichts anderes, das der Erfolg einer Reform immer zu prüfen ist, und das weiterhin eine Reform, die ihr Ziel nicht erreicht, verbessert oder zurückgenommen werden muss. Dieses Prinzip müsste heute angewendet werden auf die Sozialgesetzgebung (Hartz IV, Pflege, Rente, Krankensystem), auf die Arbeitsgesetze (Leiharbeit, Zeitarbeit, Mindestlohn) und natürlich auch auf die Steuergesetze (Höchststeuersatz, kalte Progression). Leider sind wir meilenweit von dieser Grundannahme entfernt und die Frage stellt sich jetzt, warum dies so ist.
Exkurs: In den Aufbaujahren nach dem Krieg war die Situation einfach. Alle Teile der Bevölkerung wurden gebraucht zum Aufbau der Nation. Zu tun gab es reichlich und Bedarf gab es in jeder Bevölkerungsschicht und an allen Orten, und jeder war daran interessiert, voranzukommen. So entstand ein Wirtschaftsmärchen: Die Wiederauferstehung aus den Trümmern zu Reichtum und Wohlstand für alle, auch für die breite Bevölkerung. Seit den 80er Jahren aber zeichnet sich eine Sättigung ab, die vor allem auf der Schwierigkeit beruhte, immer weiter wachsen zu müssen. Es reichte einfach nicht mehr für progressives Voranschreiten. Nun würden der gesunde Verstand, die Vernunft und auch die Logik dazu raten, die progressiven Parameter zumindest mal auf linear umzustellen und in der Folge diese Linearität in der Steigung so abzuflachen, das ein langsameres, aber gesichertes Wachstum den erreichten Wohlstand zu sichern vermag. Das hat man aber nicht getan und die Frage stellt sich, warum?
Spätestens in den 70er Jahren haben sich die Theorien des anglistischen Wirtschaftens (GBR, USA) siegreich in den Universitäten Europas und etwas später ab den 90er Jahren, in der Welt etabliert. Diese Theorien sind nicht sozialstaatlich, sondern wohlfahrtsstaatlich und Profit orientiert. Der Staat repräsentiert die Nationen nach außen (Verteidigung, Krieg, Außenpolitik, Ex- und Import), nach innen sollte der Markt alles regeln, und genauso wurden die Reformen von Gesetzen und Verordnungen gestaltet in der Hoffnung, die im Absatz zuvor geschilderten Probleme ohne Abwendung von progressiven Steigerungsraten zu lösen. Heute, 30 Jahre später, ist klar geworden, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat. Es wäre heute an der Zeit, den Fehler zu korrigieren, aber leider sind die Gruppen, die eine Änderung herbeiführen könnten, daran nicht bzw. noch nicht interessiert, da sie allein Nutznießer der falschen Entwicklungen sind. Man denke nur an die vielen Politiker, die im Anschluss an die Volksvertretungsarbeit millionenschwere Wirtschaftsjobs angeboten bekamen und selbige auch angenommen haben.
Ich glaube, die Problemstellung ist damit weitestgehend umrissen. Aber was wäre jetzt für jeden Einzelnen zu tun, und wie könnte das Fehlgegangene korrigiert werden, wo doch maßgeblichen Institutionen bzw. deren Führung nicht bereit sind umzudenken?
Was man uns in Radio und Fernsehen, in Presse und Informationsschriften, in der Schule und der Universität eingebläut hat in vielen Jahren schon ist ein Denken, das auf Konkurrenz, Ranking und ungesteuerten Marktmechanismen aufbaut. Dieses Denken hat die Misere heraufbeschworen und erst richtig groß werden lassen. Wie wäre es denn, wenn wir zu den Grundsätzen der goldenen Jahre zurückfinden würden, die da sind Solidarität, Gemeinschaftssinn und Verantwortung. Weiterhin sollte der Staat die Märkte überwachen und steuern. Das nannte sich Rheinische Marktwirtschaft. Heute ist es gerade anders herum, wie unsere Kanzlerin so schön bestätigt, dass wir mittlerweile eine marktkonforme Demokratie errichtet haben. Die Gemeinschaft muss sich daher wieder an ihre Macht erinnern und diese bei Wahlen, Demonstrationen, in den Medien und Diskussionen auch ausüben. Solidarität üben heißt auch, z.B. unter keinen Umständen unter Mindestlohn zu arbeiten, Verstöße gegen Gesetze in Firmen und Geschäften zu Anzeige zu bringen und gemeinsam mit anderen für Verbesserungen zu kämpfen. Da heißt sich informieren, das heißt Stellung beziehen im Alltäglichen und auch mal etwas zu riskieren.
Wir wählen unsere Volksvertreter. Warum wählen wir aber immer wieder die Personen in Ämter, die für eine Politik stehen, die wir gerade nicht wollen. Glaubt jemand ernsthaft noch an das Soziale in der SPD, das Christliche in der CDU, das Liberale in der FDP oder das Ökologische bei den Grünen mit den zurzeit maßgeblichen Personen? Und sind die Linken wirklich noch alle links? Es gibt unzählige kleine Parteien. Warum nicht einfach mal die Violetten wählen oder die Rentner Partei Deutschlands. Schlechter als die vorab genannten werden die wohl auch nicht sein, aber sie bringen wenigstens etwas Farbe und Bewegung ins Parlament und eine Botschaft mit für die etablierten Anderen: So nicht.
Wir brauchen wieder starke Gewerkschaften. Es geht nicht ohne sie, und wir müssen dafür kämpfen lernen, dass auch Arbeitgeberverbände wieder zur Normalität werden. Solidarität geht nur gemeinsam und muss sich auch organisieren können. Die Tarifautonomie hatte sich doch bewehrt. Warum nicht fortfahren damit.
Soweit die akuten Maßnahmen, die jeder für sich und in seinem persönlichen Rahmen wahrnehmen kann: Eintreten und mitarbeiten in Gewerkschaften, Parteien, Medien, mitarbeiten bei Betriebsräten, in Kommunen, sich informieren, solidarisch und strategisch handeln und einen alten Satz neu lernen: „NEIN, das ist eben nicht alternativlos!“
Aber leider, leider ist das nicht mehr als ein kleiner Anfang. Notwendig ist eine umfassende Neuorientierung unseres Denkens und Handelns. Und das muss in der Schule, den Betrieben auf der Straße und zu Hause sein umfassen. Das Ziel dieser neuen Denkweise ist es, für den Alltag einen Idealzustand zu formen (über Soziologie, Philosophie) und sich auf den Weg zu machen, diesen in kleinen Schritten umzusetzen. Dieses Ideal beschreibt, das eine Ausstattung jedes Bürgers mit allen Mitteln, die eine einfache Teilhabe an Gesellschaft und Kultur sowie die Grundvoraussetzungen für ein friedliches, freudvolles und glückliches Leben ermöglichen, Bedingungen sind für eine dauerhaft funktionierende staatliche Organisationsform. Der Weg dahin ist die Teilnahme an dessen Ausgestaltung zumindest durch Meinung, Wort und/oder Schrift.