Wann immer wir bemüht sind, der aktuellen Berichterstattung über das politische Thema „Eurozone“ zu folgen und uns aus dem dargestellten Material uns eine Meinung zu bilden versuchen, werden wir zunehmend mit unvereinbaren Widersprüchen konfrontiert. Nun ist eine Zivilisation wie die unsere nicht widerspruchsfrei, aber trotzdem sollten wir doch bemüht sein, vermeidbare Widersprüche wirklich auch zu meiden oder besser gesagt Widersprüche aufzuheben und zu erläutern, wo dieses möglich und sinnvoll erscheint.
Beim Urteilen über den ESM wurde immer wieder betont, dass diese Institution notwendig und auch richtig, aber die Öffentlichkeit nicht sorgfältig genug über Inhalt und Sinn informiert worden sei und dass diese Öffentlichkeit ein Recht habe, vorab über jeden Schritt informiert zu werden. Nun haben wir es mit einem Verhalten eines anonymen Finanzmarktes zu tun, der im eigenen Wording gesprochen Krieg führt gegen einzelne Staaten der Eurozone. Und er tut dies, um Gewinne zu erzielen und nicht um Staaten zu zerstören, nimmt aber bei genauem hinsehen letzteres als Kollateralschaden billigend in Kauf. Und wir haben Staaten und Regierungen, die diese Schäden dringend zu vermeiden suchen und die dafür Werkzeuge schaffen müssen. Wenn wir nunmehr die Beschreibung als gegeben annehmen und ersteres praktizieren wollen, so wäre das wie eine Schlacht, in der ein Gegner, der gerade angegriffen wird, vorab und für alle einsehbar seine Verteidigungsmaßnahmen im Detail bekannt gibt und dabei hofft, dass der Gegner diese Informationen unberücksichtigt ließe. Das ist aber leider nicht zu erwarten. Vielmehr muss eine sich verteidigende Regierung schnell und ohne Vorlauf Maßnahmen ergreifen können, ohne dass der Gegner sich darauf einzustellen vermag. Und die Maßnahmen sollten so effektiv sein, dass ein Angriff leicht abgewehrt werden kann. Nur so geht der Angreifer ein Risiko ein und nur so kann daher seine Risikobereitschaft gebremst werden. Was allerdings vorab besprochen, diskutiert und festgeschrieben werden sollte ist der Rahmen, innerhalb dessen sich eine Regierung bewegen darf. Aus diesem Grunde erscheint der ESM, wie er gerade eingesetzt wurde, durchaus als folgerichtige Maßnahme.
Was in dieser Beschreibung aber nicht berücksichtigt wird ist die Tatsache, dass Regierungen über gesetzliche Vorgaben den Märkten genau diese Kriegsführung untersagen könnten. Weiterhin könnten Regierungen problemlos die Gewinne abschöpfen, die durch diese unseligen Angriffe erwirtschaftet werden, was den Angriffen ihre Ursache nehmen würde. Und Regierungen können drittens den Hauptangriffspunkt (Staatsanleihen) für den Markt isolieren, indem sie für Kreditaufnahmen der angegriffenen Staaten spekulationsresistente Finanzierungsmöglichkeiten schaffen. Für diese Maßnahmen allerdings müsste das zurzeit vorherrschende Dogma einer Wirtschaftsordnung verändert werden, das den Staat und damit die Gemeinschaft als den Feind schlechthin ansieht und der zurückzudrängen sei. Und natürlich würde die oft zitierte Freiheit darunter leiden, wenn diese weiterhin unwidersprochen als „die Möglichkeit einzelner, auf Kosten der Allgemeinheit leben und prassen zu können“ definiert bleibt.
Letztlich haben wir die Wahl zwischen dem Erhalt der heutigen Wirtschaftsordnung und somit auch dem Erhalt der Schwächen, die diese Ordnung mit sich bringt oder aber wir erlauben uns den Versuch, sanft und mit kleinen Schritten eine neue Ordnung zu etablieren, indem wir Schritt für Schritt Gestaltungsmöglichkeiten schaffen, die zu einer Veränderung genutzt werden könnten. Dazu zählt die Schaffung von Abschöpfungssteuern verschiedenster Art, dazu zählen Kontroll- und Aufsichtsgremien, die unabhängig wirken und notfalls eingreifen können und dazu zählt innerhalb der Eurozone eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzordnung. Dafür müssten aber die Einzelstaaten Rechte an eine frei gewählte Institution übertragen, die es zum heutigen Tage nur unvollkommen gibt. Eine Aufwertung des Europaparlamentes wäre dafür ein erster Schritt. Ein zweiter Schritt wäre die Einsetzung eines europaweiten Finanz- und Wirtschaftsministeriums. Und drittens müsste Europa in kleinen Schritten zu einer Föderation werden wie zum Beispiel Deutschland heute eine ist. Für diesen Weg allerdings sehe ich heute noch keine Grundlage. Sie zu schaffen, wird die große Herausforderung der nahen Zukunft sein. Ich fürchte aber, dass absehbar dafür die Not noch nicht groß, die Armut noch nicht weit fortgeschritten und die Hoffnung nicht erblasst genug sein wird.